Gefallene Engel
Wassertropfenfolter. Im Waschbecken lag ein scharfes Messer. Die rostige Klinge war noch rot. Mit jedem Wassertropfen, der das Messer traf, breitete sich das Blut weiter hellrot im Becken aus.
Die Blutspur auf dem Boden führte zum Waschbecken und weiter durch eine halboffene Tür ins nächste Zimmer. Schwach hörte ich eine stöhnende Stimme, wie von einem Menschen in großer Not.
Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Die Gardinen waren vorgezogen, was eine bedrückende, klaustrophobische Stimmung schuf, die noch dadurch verstärkt wurde, daß der Raum mit alten Möbeln vollgestopft war, die weit mehr Platz um sich herum gebraucht hätten.
Das Stöhnen wurde jetzt deutlicher, monoton und rhythmisch wie bei einer Messenzeremonie. Das Geräusch kam aus dem angrenzenden Zimmer, hinter einem schweren, dunklen Vorhang hervor. Ich folgte der Blutspur dorthin.
Vorsichtig zog ich den Vorhang zur Seite und sah hinein.
Das Tableau dahinter jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Einen Augenblick glaubte ich, ich würde ohnmächtig. Ich hielt mich am Türrahmen fest, schloß die Augen, schüttelte den Kopf und öffnete sie wieder.
Es war kein Trugbild.
Ich hatte noch immer all meine Sinne beisammen.
Die Frau, die dort im Lotussitz saß, den breiten, weißen Rücken mir zugewandt, war nackt, abgesehen von einem altmodischen, wattierten, hellblauen Morgenmantel, der ihr wie zufällig von den Schultern herab auf die Hüften geglitten war.
Vor ihr stand ein primitiver Altar, mit schwarzem Samt behangen, darauf zwei silberne Kerzenhalter mit hohen, blauschwarzen Kerzen. An der Wand über dem Altar hing das blasphemischste Bild, das ich je gesehen hatte. Es war die Kopie eines mittelalterlichen Kupferstichs von Jesus am Kreuz. Mit roter Farbe hatte jemand ein ausgesprochen böses Lächeln in das Gesicht des Gekreuzigten gemalt, blutige Hörner auf seine Stirn und vor den Lendenschurz einen kolossalen, geschwollenen Penis.
Aber das war nicht alles. An einem Draht direkt über dem Altar hing ein geköpftes Huhn von der Decke herab. Aus der offenen Halsschlagader tropfte dampfendes Blut in eine Silberschale, die genau zwischen den beiden Kerzenhaltern vor dem schrecklichen Christusbild stand. Im Moment, als ich hineinsah, streckte die Frau eine Hand aus, tauchte einen Finger in das Blut, zog die Hand zurück und zeichnete mit dem Blut auf ihrem Körper, wobei sie die ganze Zeit mit ihrer Litanei fortfuhr, so leise und monoton, daß es unmöglich war, mehr als Bruchteile zu verstehen.
»… male dein Zeichen auf meinen Körper … err der Dunkelheit, hier und hier und … rächte der Lust … Lebenstor schreibe ich meinen Willkommensgruß an dich … O Luzifer, lass’ mich auf deinem Stabe reiten durch die Myriaden der Dunkelheit … O Beelzebub, Herr der Fliegen, erfülle mein Aas mit deinen Dienern, laß sie vom Blut der toten Tiere saugen und mich erheben zur Königin der Sterbenden … umfange das Universum mit deinen dunklen Armen und … alle Völker zu deinen Jüngern, indem du sie taufest im Namen des Blutes, des Schmerzes und des heiligen Todes … dir, im Namen Astrotos, beim Leibhaftigen Elimi und Baal Barits brennender Begierde … erfülle mich, erfülle mich, erfülle mich …«
Unter diesen Beschwörungen hob sie langsam die Arme zum Bild an der Wand und legte den Kopf in den Nacken wie in blinder Begierde. Schließlich hatte sie den Kopf so weit nach hinten geneigt, daß sie mir direkt in die Augen gesehen hätte, wenn sie sich nicht in solcher Trance befunden hätte, daß nur noch das Weiße ihrer Augäpfel zu sehen war. Hingebungsvoll senkte sie die Arme wieder, führte sie vor ihrem Unterleib zusammen und begann mit einer Serie rhythmischer, zielbewußter Bewegungen. In ihrem Hals gurgelte es und die Zunge kam zwischen den Lippen hervor. Die flackernden Flammen der Kerzen zeichneten ihr Gesicht in großen Proportionen, und das blonde, zurückgekämmte Haar war naß von Schweiß. »Satan, Satan, Satan!« stöhnte sie, während die Bewegungen heftiger und heftiger wurden. Es lag ein schwerer, erregender Duft von Rauch und Fisch in der Luft, und ich stand wie hypnotisiert da, erregt und angeekelt zugleich, und gefangen in einer Furcht, wie ich sie noch nie zuvor empfunden hatte.
Dann war es, als würde sie von einem unsichtbaren Geliebten ergriffen, der sie noch weiter hintenüber preßte, bis der Lotussitz aufbrach und ihr Nacken gebogen wurde, daß ihr Hinterkopf hart auf dem Boden aufschlug,
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