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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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Schulhaus und Post, Bank und Supermarkt.
    Ich ging in die Post und fragte einen männlichen Angestellten mit Basedowblick und Mittelscheitel, wie ich fahren müsse, um zu Halldis Heggøy zu kommen. Er war die Hilfsbereitschaft in Person, begleitete mich bis auf die Treppe vor dem Haus und zeigte mir den Weg so im Detail, als sei er der Touristenführer des Ortes und Halldis Heggøy eine ihrer größten Attraktionen.
    Ich folgte seinem Rat, bog von der Hauptstraße ab in einen Schotterweg, fuhr über zwei Viehsperren und mußte ein Gatter öffnen, bevor ich über den Rücken der Insel gelangte, die See ins Gesicht bekam und einen fast unbefahrbaren Viehtrampelpfad unter die Räder.
    Die Sonne stand auf halb drei, bleich und blaß, und die Dämmerung hatte schon ihre ersten vorsichtigen Radiergummistriche an den Himmel gezeichnet. Vor der Insel lag das Meer und schlug auf die Ufersteine, wütende Segeltücher, die weiß gegen die schärfsten Schären knatterten. Noch einmal fühlte ich, wie der Wind den Wagen erfaßte, mit unsichtbaren Fingern, und ihn umklammert hielt, während ich mehr Gas gab.
    Unten in einer Bucht, vor dem schlimmsten Wind geschützt durch eine Halbinsel mit einer Wölbung wie der eines versteinerten Drachen, lag ein unansehnlicher, kleiner Hof. Dem Postangestellten zufolge war dies mein Ziel.
    Ich fuhr den Wagen auf eine flache Felsenhöhe, umgeben von verwelkter Heide, wo es leicht war, zu wenden. Sogar mit geschlossenen Fenstern hatte ich das dumpfe Dröhnen des Meeres gehört. Als ich ausstieg, war es, als würde man von gefahrversprechenden Kriegstrommeln empfangen, als hätte die Natur selbst ihre Krieger zusammengerufen, zur Verteidigung gegen den Eindringling.
    Ich schlug die Wagentür hart zu, blieb einen Augenblick stehen und sah mich um, bevor ich begann, mich in Richtung des Hofes hinunterzubewegen, der aus einem weißen Wohnhaus und einem grauen, vom Wetter verwitterten Schuppen bestand, mit einem kleinen Hühnerstall, wo Weiße Italiener gelangweilt im grauweißen Muschelsand pickten, als hätten sie längst die Hoffnung aufgegeben, ein Goldkorn zu finden.
    Die Fenster des Wohnhauses waren schwarz, umrahmt von weißen, seelenlosen Gardinen und ebenso einladend wie versiegte Brunnen.
    Als ich über den Hof ging, sahen die nächststehenden Hühner auf, verunsichert von der plötzlichen Bewegung in der Landschaft, aber nicht verängstigt genug, um im Stall zu verschwinden.
    Ich lächelte ihnen beruhigend zu und folgte dem grauen Schieferplattenweg zur Eingangstür.
    Es gab nichts, was an eine Klingel erinnerte, also klopfte ich zuerst an den Türrahmen, danach an die Tür, ohne daß jemand im Haus reagierte.
    Ich betrachtete die Hühner, als könnten sie mir sagen, wo sich Halldis Heggøy befand.
    Danach drückte ich vorsichtig die Klinke hinunter, um zu sehen, ob die Tür abgeschlossen war. Sie war es nicht.
    Als ich sie langsam aufschob, entdeckte ich ein paar Flecken, die von den Schieferfliesen vor der Tür, über die Schwelle und – wie ich mit einem Blick ins Innere des Hauses verfolgen konnte – wie eine Perlenkette weiterführten.
    Ich ging in die Hocke und berührte einen der Flecken mit dem Zeigefinger. Er war noch feucht, und als ich den Finger hob, sah ich, daß er rot war.
    Ich hob den Finger an die Nase und roch daran. Es war auf jeden Fall keine Farbe.

31
    Ich schob die Tür langsam auf und bewegte mich vorsichtig durch die Öffnung, die so niedrig war, daß ich mich ducken mußte, um mir nicht den Kopf zu stoßen.
    In einem schmalen, dunklen Flur hingen links an ein paar Haken Regenzeug und zwei, drei Mäntel. Eine Hühnerleiter führte nach oben zu einer offenen Luke und eine weiße Tür weiter ins Haus.
    Ich blieb stehen und lauschte.
    Nichts.
    Ich folgte den Blutspuren zu der weißen Tür, legte den Kopf an die Wand und lauschte.
    Noch immer nichts.
    Ich umfaßte die Türklinke, drückte sie vorsichtig hinunter und schob die Tür behutsam auf.
    Mir war unwohl.
    Ich war in meinem Leben in zu viele solcher Häuser gegangen: Häuser voll drückender, schicksalsschwerer Stille.
    Ich kam in eine Küche mit Schränken und Anrichten aus den 30er Jahren, einem Resopaltisch aus den frühen 60ern und einem Kühlschrank aus unserem eigenen Jahrzehnt. Auf einer Anrichte stand eine fleckige Kochplatte, auf einem Teller lagen eine angebissene Scheibe Brot, ein Klecks Butter und Eierschalenreste.
    Aus dem Hahn über dem Waschbecken tropfte es langsam wie bei einer türkischen

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