Gefallene Sonnen
blinzelte, als hätte er nicht damit gerechnet, dass Jora’h so direkt war. »Du bist der Weise Imperator. Wie kannst du irgendeinen Zweifel an meiner Antwort haben?«
Jora’h kniff die Augen zusammen. »Wie bist du entkommen, wenn Thor’h mit einem Kriegsschiff bei dir eintraf? Wie hast du Gelegenheit erhalten, mir Bericht zu erstatten? Gibt es hier Verrat innerhalb des Verrats?«
Udru’h winkte ab. »Ich habe Zeit gewonnen, indem ich Thor’h sagte, dass ich die Antwort persönlich nach Hyrillka bringen würde. Rusa’h gewinnt mehr, wenn ich mich ihm aus freiem Willen anschließe, und er scheint zu glauben, dass er mich tatsächlich überreden kann. Das habe ich ausgenutzt, um Zeit zu gewinnen.«
»Kann er dich überreden?«
»Natürlich nicht, Herr. Ich bin dir immer treu.«
Jora’h wusste nicht recht, ob er ihm glauben konnte. Er dachte an die anderen Gelegenheiten, bei denen Udru’h ihn belogen oder wichtige Informationen zurückgehalten hatte. Der Dobro-Designierte hatte das Universum immer in vielen Grauschattierungen gesehen.
»Nachdem Thor’h mit dem Kriegsschiff fortgeflogen war, habe ich mich sofort auf den Weg hierher gemacht«, fuhr Udru’h fort. »Aber ich muss nach Hyrillka, bevor die Frist abläuft, denn sonst droht die Zerstörung von Dobro.« Er verschränkte die Arme. »Bis dahin musst du entscheiden, was es zu unternehmen gilt.«
54 SAREIN
Seit dem beunruhigenden Gespräch mit dem Waldgolem Beneto rang Sarein mit ihren Zweifeln. Mit seinen Augen aus Holz hatte Beneto bis in ihren inneren Kern geblickt und ihre wahren Empfindungen gesehen. Bis zu jenem Zeitpunkt war Sarein nicht bereit gewesen, sich ihnen zu stellen.
Idriss und Alexa mochten sich von den altruistischen Behauptungen ihrer Tochter täuschen lassen, und Basil Wenzeslas hoffte, dass sie die neue Mutter von Theroc wurde… Doch Beneto verstand ihr Herz. Er wusste genau, was sie tun würde, er kannte ihre widersprüchlichen Wünsche. Wie konnte sie ihm widersprechen?
Sarein war auf Theroc geboren, hatte diese Welt aber nie wirklich geliebt und sie immer für einen primitiven Provinzplaneten gehalten, eine Fessel, die sie daran hinderte, wundervolle Dinge zu erreichen. Sie hatte alles andere für besser gehalten als diese unzivilisierte Wildnis und nichts unversucht gelassen, zur Hanse zu entkommen. Dort war sie mit ihrem Ehrgeiz und zweifellos vorhandenen Talenten Teil des Personenkreises geworden, der an den Schalthebeln der Macht saß. Als Geliebte von Basil hatte sie selbst großen Einfluss gewonnen. Zuerst war alles nur Mittel zum Zweck gewesen, doch dann waren ihre Gefühle kompliziert geworden…
Sarein seufzte. Ja, ihr Bruder Reynald hatte beim Angriff der Hydroger den Tod gefunden, und dadurch war sie das älteste überlebende Kind von Vater Idriss und Mutter Alexa. Sie konnte durchaus Anspruch auf den Thron erheben. Wenn sie diese Angelegenheit mit dem nötigen Nachdruck verfolgte, mochte es ihr tatsächlich gelingen, die nächste Mutter von Theroc zu werden. Aber Sarein fühlte sich hier nicht zu Hause. Sie wollte zurück zur Erde, sich mit der Politik der Hanse beschäftigen, an Banketts und Besprechungen teilnehmen. Sie wollte die Berichterstattung von hundert verschiedenen Nachrichtennetzen sehen und direkt mit der menschlichen Zivilisation verbunden sein.
Nach Theroc zurückzukehren und die vielen Wunden im Wald jener Welt zu sehen, von der sie geglaubt hatte, dass sie ihr gar nichts bedeutete… Es schmerzte in ihrem Herzen. Sie wollte nicht sehen müssen, dass der Ort, an dem sie ihre Kindheit verbracht hatte, zerstört worden war: verbrannte Bäume, verlorene Leben, die Asche von Gebäuden. Sie wollte nicht daran denken, wie Reynald trotzig auf dem Blätterdach des Weltwalds gestanden und vergeblich versucht hatte, seine Welt vor den Hydrogern zu schützen.
Sie konnte nicht länger auf Theroc bleiben.
Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, legte Sarein das Botschaftergewand an, das sie vor langer Zeit von Otema erhalten hatte. Ihre Entscheidung stand fest: Sie wollte ihrem Herzen und dem Gewissen folgen, ungeachtet der Dinge, die andere Leute von ihr erwarteten. Ihre Eltern wollten, dass sie auf Theroc blieb, ebenso Basil, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Keiner dieser Gründe erschien Sarein legitim.
Sie atmete tief durch und machte sich auf den Weg zu ihren Eltern. Viele Theronen arbeiteten bereits im feuchten Morgendunst, pflanzten Schösslinge in Töpfe und bereiteten sie für den
Weitere Kostenlose Bücher