Gefallene Sonnen
Entschuldigungen sie präsentiert hätte: Für die gefangenen Clan-Mitglieder wäre sie eine Roamerin gewesen, die auf der Seite der terranischen Soldaten stand, die ihre Siedlungen zerstört hatten.
Tasia mied auch engeren Kontakt mit den TVF-Besatzungsmitgliedern, und nicht nur deshalb, weil sie einen höheren Rang bekleidete. Während der einzelnen Schichten leisteten sie zusammen Dienst und nahmen im Speisesaal gemeinsam die Mahlzeiten ein, doch die übrigen TVF-Angehörigen begegneten Tasia wegen ihrer Roamer-Herkunft meistens mit kühler Förmlichkeit.
Wenigstens hatte sie EA als Freund, obgleich sie ihre gemeinsame Vergangenheit und die Freundschaft rekonstruieren musste. Am Abend vor dem Anflug auf Llaro stand der kleine Roboter im Quartier der Kommandantin neben der Brücke. Tasia sank schwer auf ihre Koje, beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Ich weiß, dass du dich nicht an die nächste Geschichte erinnerst, und deshalb erzähle ich sie mit allen Details, die ich behalten habe. Ich versuche, die Dinge nicht zu sehr auszuschmücken.«
»Du würdest mich nicht täuschen, Herrin Tasia. Ich höre gern zu.«
Tasia lachte leise. »Du hast deine Erinnerungen verloren, und auch mein menschliches Gehirn ist nicht absolut zuverlässig. Nun, auf diese Weise erinnere ich mich daran.« Sie zögerte, stellte sich die Bilder vor und atmete schwer. Seit Wochen verbrachte sie täglich Stunden damit, sich für EA zu erinnern und dem kleinen Kompi von den Zeiten zu berichten, die sie gemeinsam verbracht hatten. Ihm eine Vergangenheit aus zweiter Hand zu geben – das war immer noch besser als gar nichts.
Trotz ihrer Behauptung, ganz ehrlich zu sein, zensierte Tasia ihre Beschreibungen. Sie vermutete, dass die Terranische Verteidigungsflotte ihr Quartier überwachte und private Gespräche belauschte, in der Hoffnung, dass sie wichtige Einzelheiten über die Clans und ihre Stützpunkte verriet. Die TVF vertraute ihr einfach nicht. Tasia hatte ihr keinen konkreten Grund gegeben, ihre Loyalität infrage zu stellen, aber sie ließ auch keinen Zweifel daran, wie wenig sie von der Offensive gegen die Clans hielt. Man hatte ihr das Kommando über den Manta-Kreuzer genommen, angeblich deshalb, um ihr eine schwierige Situation zu ersparen, »in der ihre Loyalitäten in Konflikt geraten könnten«.
Tasia fühlte sich tatsächlich hin- und hergerissen. Vor der Schlacht von Osquivel hatte sie ihren Kompi mit dem Auftrag losgeschickt, die Roamer-Werften zu warnen und darauf hinzuweisen, dass eine TVF-Flotte unterwegs war. EA hatte die dringende Mitteilung rechtzeitig überbracht, aber auf dem Weg nach Hause musste etwas mit dem Kompi geschehen sein, denn er kehrte mit gelöschtem Speicherinhalt zurück. Tasia fragte sich manchmal, ob das Militär der Erde das für den Notfall gedachte Amnesieprogramm ausgelöst hatte, mit dem alle Kompis der Roamer ausgestattet waren…
Um die Gedächtnisspeicher des kleinen Roboters wieder zu füllen, erzählte sie ihm von Dingen aus der Vergangenheit. Sie nannte dabei weder Namen noch Koordinaten, gab den Tiwis keine Hinweise, denen sie folgen konnten.
»Ich war neun, und es war einer der wichtigsten Tage in meinem Leben«, sagte sie. »Auch in deinem.« Die Augen des Kompis glühten, und ihr Blick blieb auf Tasia gerichtet, als er mit großer Aufmerksamkeit zuhörte. »Meine beiden Brüder brachten uns mit einem Boot auf den großen subplanetaren See. Jess war achtzehn, glaube ich, und Ross dreiundzwanzig. Unser Vater wollte, dass sie die Wasserminen gemeinsam leiteten, doch Ross träumte von einer eigenen Ekti-Fabrik in der Atmosphäre eines Gasriesen. Da ich ein ganzes Stück jünger war, verbrachte ich nicht viel Zeit mit ihnen: Sie trugen Verantwortung, und ich war noch ein Kind.
Ich wusste, dass sie etwas Besonderes im Sinn hatten. Ross steuerte das Boot vom Eis fort, in Richtung des kälteren Wassers, das sich nicht direkt unter den künstlichen Sonnen an der Eisdecke befand. Wir vier auf einem stabilen Boot, du eingeschlossen, EA.«
»Es freut mich, dass ich mitkommen konnte.«
Tasia erinnerte sich daran, dass der Kompi reglos dagesessen hatte. Sie selbst, Ross und Jess hatten warme Kleidung getragen, und ihre Wangen waren von der Kälte gerötet gewesen. Sie stellte sich das Wasser vor: noch flüssig, aber gerade so über dem Gefrierpunkt. Reflexionen von der hohen Höhlendecke und den fernen gewölbten Wänden gaben dem See eine graublaue Farbe.
»Ross
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