Gefallene Sonnen

darauf vorzubereiten. Niemand hätte Cesca besseren Rat geben können, aber jetzt sah sie sich einer völlig neuen Situation gegenüber. Wie groß die Herausforderungen auch sein mochten: Cesca würde auf jeden Fall versuchen, mit ihnen fertig zu werden. Roamer fanden immer einen Weg.
    Dutzende von Arbeitern streiften Schutzanzüge über, verließen die Wohnkuppeln und traten zu Cesca. Es wurde kein Eis mehr abgebaut, und es fand auch keine Wasserstoffdestination mehr statt – das Personal von Jonah 12 hatte die Arbeit eingestellt. Alle waren zur Basis zurückgekehrt, mit Ausnahme einiger besonders weit entfernter Erkundungsgruppen. Die Männer und Frauen schritten über die Oberfläche des Asteroiden, fort von den Kuppeln, um an der Trauerfeier für die alte Sprecherin teilzunehmen.
    Auf einem flachen Eisbereich, in sicherer Entfernung von den Wohnkuppeln, schleuderten Katapulte Behälter mit Wasserstoff zu den automatischen Ekti-Reaktoren im Orbit. Die Konfiguration eines Katapults war so verändert worden, das es ein besonderes Paket auf eine endlose Reise durchs All schickte.
    Sechzig Arbeiter versammelten sich in respektvollem Schweigen und standen in den kalten Schatten beieinander. Hinter ihnen bildeten die gelben Markierungslichter der Kuppeln einen willkommenen Kontrast zum Weiß und Grau einer Landschaft, über der ein niedriger Methannebel hing.
    Cesca stand neben dem umhüllten Paket, das den Leichnam der alten Frau enthielt, fühlte sich seltsam leicht und gleichzeitig ungeheuer schwer. Sie vergewisserte sich, dass der Kommunikator ihres Schutzanzugs ausgeschaltet war, und sprach leise zu der verstorbenen Jhy Okiah. »Ich hoffe, du denkst auch weiterhin gut von mir, obwohl es den Roamer-Clans derzeit schlechter geht als jemals zuvor. Unser Volk verdient nicht weniger als mein Bestes, und deshalb werde ich all das nutzen, was du mich gelehrt hast, um nach einer Lösung zu suchen.« Im Innern des Schutzanzugs ballte sie die Hand zur Faust. »Irgendwie.«
    Purcell Wan überprüfte das Katapult und vergewisserte sich, dass das Paket mit dem Leichnam für die letzte Reise bereit war. Bei dem Katapult handelte es sich um ein einfaches Reaktionsmasse-System, das angesichts der geringen Gravitation des Planeten Behälter weit ins All befördern konnte. »Ich habe Energie und Reichweite erhöht, Sprecherin Peroni. Das Paket wird auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt. Jhy Okiah wird die Tiefen des Alls erreichen, ihre wahre Heimat.«
    Hinter dem getönten Visier konnte er ihr Nicken nicht sehen, und deshalb gab Cesca eine verbale Bestätigung.
    Sie atmete tief durch, sammelte Kraft und stellte dann eine Kom-Verbindung zu den versammelten Arbeitern von Jonah 12 her.
    »Wir sind Roamer, wir alle«, verkündete sie laut und griff nach den Worten, die sie sich zurechtgelegt hatte. »Wir sind immer unabhängig gewesen und haben Orte erforscht, an denen sich niemand sonst umsehen wollte. Selbst in Zeiten großer Not haben wir überlebt. Jhy Okiah hat uns gezeigt, wobei es darauf ankommt. Sie führte uns mit Weisheit und durch ihr Beispiel. Ihre vielen Kinder sind erfolgreich bei den Clans, führen, arbeiten und dienen. Ihr jüngster Sohn hat diese Basis gegründet.«
    »Ich wünschte, Kotto wäre hier«, stöhnte Purcell. »Er weiß nicht einmal vom Tod seiner Mutter.« Bestätigendes Brummen kam aus den Kom-Lautsprechern.
    »Mit ihren letzten Worten wies die frühere Sprecherin darauf hin, dass sie ihren Leitstern sehen konnte«, sagte Cesca. »Ihre Seele hat mit der letzten Reise begonnen, und der Körper soll ihr jetzt folgen. Jhy Okiah wird zu einer ewigen Roamerin zwischen den Sternen und für immer unterwegs sein.«
    Die restlichen Worte fielen ihr nicht mehr ein, und so trat sie zurück, winkte mit der einen Hand. Purcell wandte sich mit Anweisungen an die beiden Arbeiter, die das Katapult bedienten. Licht ging von wechselnden Energiefeldern aus, und das Paket mit der Leiche glitt über die langen Schienen.
    Lautloses Flackern wies auf eine starke Beschleunigung hin, und der unregelmäßig geformte, silbrig glänzende Zylinder mit Jhy Okiahs Leiche sauste nach oben, streifte die dünnen Fesseln der Schwerkraft von Jonah 12 ab.
    Cesca hob den Kopf und blickte zum schwarzen, sternenbesetzten Himmel empor. Wenn Jess doch nur bei ihr gewesen wäre. Wo befand er sich jetzt? Würden sie sich jemals Wiedersehen?
    Das Paket mit den sterblichen Überresten von Jhy Okiah wurde kleiner und zu einem Stern unter vielen.