Gefangen im Palazzo der Leidenschaft
Küche marschierte. Ihre Absätze klapperten im Flur, als sie zu der Tür ging, die in den Innenhof führte. Wenig später fiel diese mit einer Endgültigkeit hinter ihr ins Schloss.
Benommen durchquerte Dmitri die Küche und ging zu der Schalttafel, die in der Wand eingelassen war. Er gab den Code für die Vordertür ein. Ihre entschlossene Miene hatte ihm gezeigt, dass Lily tatsächlich versuchen würde, die Tür einzutreten, und er wollte nicht, dass sie sich dabei verletzte.
So, wie er sie durch seine Reaktion auf die Heirat von Claudia und Felix verletzt hatte?
Zum ersten Mal in seinem Leben fand Dmitri keine Antworten. Weder auf diese Frage noch darauf, was in der vergangenen Nacht zwischen Lily und ihm geschehen war. Diese „peinliche Episode“, wie sie es eben genannt hatte.
Und er hatte sich auch noch nie so allein gefühlt wie in diesem Moment, da sie endgültig aus seinem Leben verschwand …
12. KAPITEL
London, zwei Wochen später
„Lily?“
Es war schon spät – beinah sechs Uhr abends –, und Lily hatte sich in ihren dicken schwarzen Mantel gekuschelt, um sich gegen den eisigen Januarwind zu schützen, der die Blätter zu ihren Füßen aufwirbelte. Sie hastete durch die Dunkelheit zu ihrem Wagen, den sie am Morgen vor der Arbeit auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Abrupt blieb sie stehen, als sie ihren Namen hörte und die raue Stimme erkannte.
Ängstlich sah sie sich auf dem dunklen Parkplatz um. Ihr stockte der Atem, als sie die große, bedrohlich wirkende Gestalt bemerkte, die von einem Wagen unter den Bäumen nur wenige Meter von ihrem eigenen entfernt auf sie zukam. Trotz der Stimme konnte es auch jemand anders sein als Dmitri.
In den letzten zwei Wochen, seit sie aus Rom zurückgekehrt war, hatte sie ihn oft zu sehen geglaubt. Einige Male, als sie durch die geschäftigen Straßen Londons ging. Draußen vor dem Apartmenthaus, in dem sie wohnte. Einmal sogar vor der Schule. Ein anderes Mal im Supermarkt – ausgerechnet! Und jedes Mal hatte sie irrtümlich einen großen, dunkelhaarigen Mann, der sonst nichts mit ihm gemein hatte, für Dmitri gehalten.
Diesmal allerdings war da diese Stimme …
„Wer ist da?“, fragte Lily misstrauisch, zog den Mantel noch fester um sich und die rote Mütze tief ins Gesicht, um die Kälte abzuhalten. Sie wusste, dass sie als Letzte das Schulgebäude verlassen hatte. Sie hatte es auch nicht eilig gehabt, da ein langer Abend vor ihr lag, einsam in ihrem Apartment. Sie und dieser Mann waren also allein auf dem dunklen Parkplatz.
Der Mann trat aus dem Schatten der Bäume. Sein Gesicht lag immer noch halb im Dunkeln. „Es ist erst zwei Wochen her. Lily. Du hast mich doch noch nicht vergessen?“
Lily erschrak, als ihr bewusst wurde, dass es tatsächlich Dmitri war. Nur er hatte die Macht, ihr den Atem zu nehmen und ihr Herz doppelt so schnell schlagen zu lassen wie sonst.
Was, in aller Welt, machte er hier?
Sie hatte am zweiten Weihnachtstag noch einen Rückflug nach London ergattern können. Seitdem fragte sie sich immer wieder, ob die Zeit mit Dmitri in Italien nicht nur ein Traum gewesen war. Der zwar wundervoll und aufregend gewesen war, aber eben nur ein Traum.
Lily schluckte schwer, und ihre Schultern verspannten sich, als sie ihn über den Parkplatz hinweg ansah. „Was machst du hier, Dmitri?“
Er zuckte die breiten Schultern in dem schweren dunklen Mantel, dessen Kragen er gegen den eisigen Wind hochgestellt hatte. „Ich hatte geschäftlich in London zu tun, und Claudia meinte, es wäre doch nett, wenn ich vorbeikomme und Hallo sage, während ich hier bin.“
Claudia hatte also gemeint, dass es nett wäre. Nicht Dmitri.
Da sie ihre Schwägerin inzwischen getroffen hatte – Claudia und Felix waren letzte Woche extra nach London geflogen, damit die beiden Frauen einander kennenlernten –, bezweifelte sie doch sehr, dass die temperamentvolle Claudia es so leidenschaftslos ausgedrückt hatte wie Dmitri eben.
Claudia war tatsächlich so schön, süß und unschuldig, wie beide Männer sie beschrieben hatten, und unbeirrbar entschlossen, wenn sie ihren Kopf durchsetzen wollte. Lily hatte diese Frau vom ersten Augenblick an gemocht. Dass Claudia ihren Bruder offenbar anbetete, hatte ein Übriges getan.
Lily lächelte bedauernd. „Nun, da das erledigt ist, kannst du ja guten Gewissens nach Italien zurückkehren. Wenn du mich dann entschuldigst … Es ist kalt, und ich möchte gern nach Hause und etwas Warmes essen.“
Dmitri
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