Gefangen im Zwielicht
ursprüngliche Heimat Rumänien. Es waren einzelne Teile eines Puzzles, Bruchstücke, die er unmöglich zu einem Ganzen zusammensetzen konnte. Zum einen waren da seine Albträume. Hinzu kamen Visionen seiner Kindheit, die verzerrt und unwirklich waren. Die Gestalt seiner Mutter wirkte geisterhaft, stets war alles von dichtem Rauch und Feuer umgeben. Er hatte keine Erklärung dafür, doch es war, als hätte er eine ganze Weile hinter einem dichten Schleier gelebt, oder nur geträumt. Was er jedoch ganz sicher wusste war, dass Razvan und er noch nie ein gutes Verhältnis gehabt hatten. Im Laufe der Zeit hatte sich sein Cousin äußerlich kaum verändert. Razvans Alter war ein Geheimnis, wie bei den meisten Vampiren. Es war alles so verworren und mit jedem Tag wuchs seine Angst, dass auf ihm eine schreckliche Schuld oder ein Fluch lastete.
Schließlich erhob er sich, zog die Vorhänge zu und nahm die Sonnenbrille ab. So oft hatte Alexei seinen Vater gebeten, ihm von damals zu erzählen, doch er weigerte sich beharrlich, darüber zu sprechen. Vor allem über seine Mutter und die Zeit vor ihrem Tod durfte im Hause Grigorescu kein Wort verloren werden. Die genauen Umstände ihres Todes waren bis heute ein Rätsel. Alexei blieb nur ein Gemälde im Flur, dass eine schöne, dunkelhaarige Frau zeigte. Sie trug ein rubinrotes Kleid und ihr Lächeln war warm und gütig. Und doch konnte er keine Verbindung zu ihr spüren. Er war nicht imstande, irgendwelche Erinnerungen heraufzubeschwören, so oft er ihr Bildnis auch betrachtete.
Am Abend wollte Alexei eben das Haus verlassen, als er Razvans barsche Stimme hörte.
„Wo willst du denn hin?“ Sein Cousin stand auf der obersten Treppenstufe und spähte wie ein Geier auf ihn herunter. Er trug einen schwarzen Anzug und ein dunkelgraues Hemd, dessen oberste Knöpfe lässig geöffnet waren. Sein langes, schwarzes Haar war mit Gel zurückgekämmt, was ihm das Aussehen einer nassen Ratte verlieh. Anscheinend wollte er auch das Haus verlassen, mit der Absicht, seine nimmersatte, rücksichtlose Gier nach Blut und Sex zu stillen. Razvan war der Verbrecher unter den Vampiren, der sich stets die unschuldigsten Opfer aussuchte. Ohne jegliches Erbarmen handelte er grausam und rücksichtslos. Er schrak auch vor Mord nicht zurück. Nicht einmal Vater benahm sich derart widerlich.
„Das geht dich nichts an, Razvan.“ Alexei bemühte sich, ruhig zu bleiben, lockerte den Knoten seiner Krawatte und öffnete die Tür.
„Es geht mich schon etwas an, falls du dich mit diesem Leon triffst und dabei bist unsere Existenz aufzudecken.
Alexei hörte Razvan die Stufen hinunterspringen und wandte sich um. Sein Cousin funkelte ihn angriffslustig an und verzog die Mundwinkel zu einem verächtlichen Grinsen. Alexei versuchte unbeeindruckt zu wirken. Zu viel Gegenwehr würde ihn und Leon vielleicht verraten und das wollte er auf keinen Fall riskieren. Er setzte eine überraschte Miene auf und lachte.
„Deine blühende Fantasie erheitert mich, Razvan.“
Razvan durchbohrte Alexei mit einem eisigen Blick, als ahnte er etwas. Alexei wandte sich dennoch um, ohne ihm weiterhin Beachtung zu schenken. Als er über die Türschwelle trat, rief ihm Razvan hinterher.
„Ich komme dir auf die Schliche und wenn es so ist, wird es mir eine Ehre sein, uns von so einem Verräter wie dich zu befreien. Und deinen menschlichen Liebhaber sauge ich aus, bis auf den letzten Tropfen, ich schwöre es!“
Alexei knirschte mit den Zähnen und zwang sich, ruhig weiter zu atmen. Er spürte unbändigen Zorn in sich aufsteigen. In seinem Kopf sammelte sich das Blut, es rauschte in seinen Ohren und durch seine Adern. Alexei wollte zurück und diesem Bastard das Maul stopfen, doch seine Vernunft siegte. Er ließ die schwere Tür in das Schloss fallen und eilte über den Kiesweg hinaus auf die Straße.
Wenn dieser Mistkerl Leon auch nur ein Haar krümmte, würde Alexei ihm eigenhändig einen Pfahl durch sein Herz rammen.
Alexei beschloss, den Wagen stehen zu lassen und sich zu dematerialisieren. Es war eine Art der Fortbewegung, die er nur sehr selten gebrauchte. Erstens wurde ihm dabei jedes Mal übel und zweitens liebte er seinen Audi. Doch auf diese Weise konnte ihm Razvan nicht folgen und Leons Sicherheit besaß oberste Priorität.
Kapitel 12
Seit Alexei gestern Abend fort gegangen war, schwirrten meine Gedanken nur um ihn. Ich vermisste ihn, obwohl wir uns gestern erst gesehen hatten. Wenn ich an seinen heißen
Weitere Kostenlose Bücher