Gefangen im Zwielicht
Angeln krachen. Als er sich zu mir umwandte, glaubte ich für den Bruchteil einer Sekunde, seine Augen hätten die Farbe gewechselt und rot aufgeleuchtet. Wäre ich so verrückt wie Tom, würde vieles dafür sprechen, dass Alexei ein Vampir war. Aber das war doch wirklich absurd.
Alexei eilte zu mir und ließ sich neben mir zu Boden gleiten. Den Blick hielt er gesenkt, sein langes Haar bedeckte sein Gesicht. Ich hob die Hand und wollte die blonden Strähnen beiseite schieben. „Alles in Ordnung mit dir, Alexei?“
Er hielt mein Handgelenk fest, nickte jedoch. „Mit Verlaub, aber dein Freund hat sie nicht mehr alle.“
„Ich weiß. Und es wird immer schlimmer mit ihm.“
Alexei zog mich mit einem Arm an sich, mit dem anderen bedeckte er seine Augen. „Das musst du nicht. Ist nicht deine Schuld.“
„Soll ich dir etwas holen? Einen kalten Lappen?“ Er küsste mein Haar und erhob sich rasch.
„Ich … ich brauche nur kaltes Wasser. Ich bin sofort wieder bei dir.“
Ich sah ihm nach und seufzte schwer auf. Ich war schockiert und zutiefst traurig über Toms Verhalten. Er brauchte dringend professionelle Hilfe.
Der leidenschaftliche Augenblick war natürlich dahin. Wir verbrachten den Rest des Tages im abgedunkelten Wohnzimmer. Ich wollte Alexei etwas zu Essen machen, doch er wollte nur schlafen. Ich saß stundenlang neben ihm auf dem Sofa und beobachtete ihn. Wie er so dalag und schlief, war er so überirdisch schön, dass ich meinen Blick kaum von ihm abwenden konnte. Immer wieder streichelte ich sein blasses Gesicht und sein dunkelblondes, seidenes Haar.
Als die Sonne nicht mehr so hoch stand, fuhr Alexei nach Hause. Ich machte mir Sorgen, denn er sah geschwächt aus, und seine Augen waren immer noch rot. Doch er hatte mir versichert, ihm ginge es gut und er sei nur müde. Wir verabredeten uns für den nächsten Abend.
***
Im Morgengrauen saß Alexei in seinem Zimmer und blickte durch die schützenden Gläser seiner Sonnenbrille hinunter auf die Straße. Langsam erwachte die Stadt zum Leben. Wie gerne würde er jetzt auf den Horizont schauen und das Farbenspiel betrachten, das die aufgehende Sonne an den Himmel zauberte. Warum wünschte er sich das so sehr, obgleich er doch ein Geschöpf der Nacht war? Alexei war ein geborener Vampir und sollte sein unsterbliches Dasein lieben. Stattdessen sah er sich als einen Verdammten. Verflucht dazu, sein Leben in ewiger Dunkelheit und Einsamkeit zu fristen. Eine kalte Hand schloss sich um sein Herz und zerquetschte es beinahe, als er daran dachte, dass er Leon ständig belog.
Leon war gestern so besorgt um ihn gewesen. Dabei war es doch Alexei, dessen Sorge um seinen sterblichen Geliebten größer war. Leon war intelligent und besaß mentale Fähigkeiten. Bald würde sein Gedächtnis komplett zurückkehren und daran mochte Alexei lieber nicht denken. Gestern hätte er sich beinahe verraten, als in seinem Zorn über Tom seine Fangzähne hervorgetreten und seine Pupillen sich verfärbt hatten. Als dieser Bastard Leon geschlagen hatte, war er einfach ausgerastet.
Am besten wäre es, er würde sang-und klanglos aus Leons Leben verschwinden. Er liebte ihn und wollte bei ihm sein, doch er war sich auch bewusst, dass er ihn in größte Gefahr brachte.
Alexei seufzte schwer, sein Blick fiel wieder hinunter auf die Straße. Eine Frau in einem schwarzen Hosenanzug mit einem Aktenkoffer in der Hand stieg in ein rotes Cabrio. Ein paar Häuser weiter ging ein alter Herr mit seinem Hund spazieren und schimpfte mit einer Gruppe Kinder, die gerade in den Schulbus stieg und eine Menge Lärm machte. Obwohl das Fenster geschlossen war und das Geschehen in einiger Entfernung lag, konnte Alexei mit seinem empfindsamen Vampir-Gehör jedes Wort verstehen, wenn er sich darauf konzentrierte.
Es hatte in der letzten Nacht geregnet, die lachende Meute sprang in den Pfützen umher und bespritzte Mann und Hund mit dem schmutzigen Nass. Um Alexeis Mundwinkel legte sich ein Grinsen, doch es erstarb bei dem Gedanken, dass er sich an seine eigene Kindheit kaum erinnern konnte.
Sein Wissen bestand lediglich daraus, dass er im September 1891 zur Welt kam und die Grigorescus irgendwann nach dem schrecklichen Tod seiner Mutter im Jahre 1898 nach Berlin gekommen waren. Sein Vater sprach niemals über die Vergangenheit und auch Razvan und Adriana waren augenscheinlich zum Schweigen verdammt. Vermutlich würden sie ihm ohnehin nichts sagen. Alexei besaß nur vage Erinnerungen an seine
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