Gefangen in Deutschland
»Dann bauen wir beide uns irgendwo ein ganz neues, freies Leben auf.«
Aus verheulten Augen sah Petra mich an.
»Wenn uns das mal gelingen sollte …«, grinste sie schief.
15. K APITEL
Heimlicher Cafébesuch
»Sag mal, Katja, hast du zufällig Lust, in die Stadt zu fahren?«, fragte mich Aysegül an einem Montagnachmittag im April.
Sie müsse zum Frauenarzt, um sich ein neues Rezept für die Pille ausstellen zu lassen, erklärte sie mir. Das könne uns doch als Vorwand dienen … Denn einfach so zum Bummeln in die Stadt zu fahren war uns natürlich nicht erlaubt.
Begeistert rief ich bei Mahmud an.
»Aysegül bittet mich, sie in die Stadt zu begleiten. Bist du einverstanden, wenn ich mitfahre?«
Ich erzählte ihm, dass meine Begleitung dringend nötig sei, Aysegül müsse schließlich die kleine Özlem im Kinderwagen mitnehmen, und ohne meine Hilfe sei sie spätestens beim Einsteigen in den Bus auf die Unterstützung durch Fremde angewiesen.
Mahmud willigte ein, vergaß aber nicht, mir eine Uhrzeit vorzugeben, zu der wir spätestens wieder zurück sein sollten. Auch erinnerte er mich daran, dass ich die Wohnung auf keinen Fall ohne Kopftuch zu verlassen hätte.
Ich versicherte ihm, mich auf jeden Fall an seine Vorschriften zu halten, und legte erleichtert den Telefonhörer auf. Ich liebte es, durch die Fußgängerzone zu schlendern, mir die Auslagen in den Schaufenstern anzusehen oder mich in ein Café zu setzen und die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten. Irgendwie fühlte ich mich dann ein bisschen wie früher, als ich noch mein freies Leben hatte genießen können.
In Windeseile zog ich mich um und lief zum Nachbarhaus, um Aysegül und ihre kleine Tochter abzuholen. Mit meinem Kopftuch und dem züchtigen Kleidungsstil hielten mich die beiden türkischen Frauen, denen ich auf der Straße begegnete, wohl für eine Landsmännin, denn sie begrüßten mich mit einem freundlichen »Merhaba!«
Ohne den Blick zu heben, erwiderte ich den Gruß und verschwand im Hauseingang. Aysegül erwartete mich schon, und sogleich machten wir uns auf den Weg zur Bushaltestelle. Wir wollten keine kostbare Minute verlieren. Die kleine Özlem lag so zufrieden in ihrem Kinderwagen, dass ich mich unwillkürlich fragte, ob sich dieses winzige Wesen auch schon über die gebotene Abwechslung freute.
In der Innenstadt angekommen, beschlossen wir, erst einmal in ein Café zu gehen und uns ein Stück Torte zu gönnen. Entsetzt beobachtete ich, wie Aysegül begann, ihr Kopftuch abzunehmen. Als sie meinen ängstlichen Blick sah, lachte sie.
»Du kannst ruhig auch dein Kopftuch ausziehen! Ich habe noch nie gesehen, dass ein männliches Mitglied unserer Familie zum Kaffeetrinken hierhergekommen wäre.«
Akkurat faltete sie das Tuch zusammen und legte es auf den leeren Stuhl neben sich.
Obwohl ich ein komisches Gefühl dabei hatte – was war bloß aus mir geworden? – , tat ich es ihr nach kurzem Zögern nach. Es war so befreiend! Sofort spürte ich, wie mein altes Selbstbewusstsein zurückkehrte. Ich schüttelte meine langen blonden Haare und fuhr mit allen zehn Fingern hindurch, um meine Frisur zu ordnen. Plötzlich fiel mir auf, wie sehr das Kopftuch mein Hörvermögen einschränkte. Hatte ich vorher nur ein dumpfes Gemurmel von den Nebentischen vernommen, konnte ich nun wieder einzelne Gesprächsfetzen deutlich wahrnehmen.
»Kennst du das?«, fragte ich Aysegül, nachdem wir uns beide ein Stück Himbeertorte und einen Cappuccino bestellt hatten.
»Klar! Ich habe ja auch erst als Jugendliche anfangen müssen, ein Kopftuch zu tragen«, erzählte sie mir. »Erst habe ich mich kaum aus dem Haus getraut. Meine deutschen Mitschüler kannten mich ja nur unverschleiert und haben in den ersten Tagen jede Gelegenheit genutzt, mich zu verspotten. Ich weiß nicht, wie oft ich mich in dieser Zeit weinend in der Schultoilette eingeschlossen habe. Lange hat dieser Zustand aber nicht angedauert, da ich die Schule irgendwann sowieso nicht mehr besuchen durfte. Meine Eltern waren der Meinung, dass es wichtiger sei, mich auf meine Aufgaben als Haus- und Ehefrau vorzubereiten.«
Aysegül schaute mich so unglücklich an, dass ich ihr gern etwas Tröstendes gesagt hätte. Aber mir wollte partout nichts Passendes einfallen. Ihre dunklen Augen schimmerten verräterisch und ließen die große Traurigkeit erahnen, die ihr Leben bestimmte. Doch bevor wir uns dazu hinreißen lassen konnten, uns über unser Schicksal zu grämen, holte uns Özlems
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