Gefangen in Deutschland
versorgt wird und ihm dafür den Haushalt führt und ihm Kinder gebärt. Am besten natürlich Söhne, denn Jungen sind mehr wert als Mädchen. Mädchen sind unzuverlässige Wesen, sie machen nur die Männer verrückt. Deshalb ist es ja so wichtig, dass sie sich ab einem gewissen Alter verschleiern, züchtig kleiden und früh verheiratet werden, damit sie keine Gelegenheit haben, Schande über ihre Familie zu bringen, indem sie herumhuren. So wie ihr Deutschen – schaut euch doch mal an, Katja! Hier bei euch ist es normal, dass eine Sechzehnjährige schon mit vier oder fünf Männern im Bett war. Wenn es ganz schlecht läuft, wird sie auch noch schwanger und der Vater des Kindes lässt sie sitzen. Außerdem habt ihr doch überhaupt keine Traditionen! Ihr kümmert euch ja noch nicht mal um eure Eltern, wenn sie alt und gebrechlich sind! Du kannst verdammt froh sein, dass ich dich aus deinem armseligen deutschen Leben herausgeholt und eine anständige Frau aus dir gemacht habe!«
Ich wollte gerade erwidern, dass ich auch vorher schon ein anständiges Leben geführt hätte, als er die Diskussion mit einer abrupten Geste beendete. So war es immer: Sobald ich zu einem Thema eine andere Meinung hatte, verbot er mir das Wort. Würde ich nun noch weiterreden, müsste ich damit rechnen, eine Ohrfeige zu bekommen. Also schwieg ich und dachte mir nur meinen Teil.
Am nächsten Morgen stand Petra vor meiner Tür. Sie hatte sich wegen meines aufgelösten Befindens nach der Hochzeit Sorgen um mich gemacht und wollte kurz nach mir schauen. Freudig bat ich sie herein. Sie strahlte immer so eine Herzlichkeit aus, dass mir allein ihre bloße Gegenwart unwahrscheinlich guttat. Obwohl sie selbst so viele Unannehmlichkeiten wegen Ahmed auf sich nehmen musste, hatte sie stets ein offenes Ohr für mich. Wie sich aber schnell herausstellte, war sie diesmal selbst in keiner guten Verfassung.
Ich bereitete uns eine Tasse Kaffee zu und forderte sie auf, mir zu erzählen, was sie bedrückte. Fast hatte ich es schon vermutet: Ein Streit mit Ahmed war der Grund für Petras Traurigkeit. Die beiden hatten eigentlich geplant, in Kürze zu heiraten. Da Ahmed nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland besaß und permanent damit rechnen musste, dass diese nicht verlängert würde, wäre er durch die Ehe mit einer deutschen Frau einer Ausweisung entkommen. Nachdem Petra und er am Vortag einen letzten Anwaltstermin vor der geplanten Hochzeit wahrgenommen hatten, um die nötigen Papiere zu erlangen, hatte sich jedoch herausgestellt, dass Ahmed aufgrund einer kürzlich erfolgten Änderung im Ausländerrecht auch ohne deutsche Ehefrau einen unbefristeten Aufenthalt beantragen konnte. Ahmed hatte diese Tatsache freudestrahlend zur Kenntnis genommen und Petra sofort verkündet, sie unter den aktuellen Umständen nun doch nicht mehr heiraten zu wollen.
Während Petra mir ihr Herz ausschüttete, liefen ihr unablässig die Tränen die Wangen hinunter. Die maßlose Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen.
»Sogar mein Hochzeitskleid habe ich schon gekauft!«, brachte sie zwischen zwei Schluchzern hervor.
»Soll ich Mahmud bitten, noch mal mit Ahmed zu reden?«, erbot ich mich.
»Nein, lass nur! Das hat doch sowieso keinen Sinn. Wenn er mich nicht aus Liebe heiratet, soll er es doch lassen!«
Wütend schnaubte Petra in ein Papiertaschentuch. Ich nahm sie in den Arm und streichelte ihr tröstend über den Rücken. Ich wusste, wie sehr sie trotz aller Schwierigkeiten an Ahmed hing. Sie hatte sich so sehr auf eine Hochzeit mit ihm gefreut! Für sie wäre es mehr als eine Formalität gewesen. Aber Petra wurde als Deutsche einfach nicht von Ahmeds Familie akzeptiert. Wenn sie mit ihm zusammen in der Stadt war, was ohnehin selten genug vorkam, und ihnen zufällig jemand aus seiner Verwandtschaft begegnete, ließ er sie einfach stehen und tat so, als gehörten sie nicht zusammen. Natürlich verletzte sie dieses Verhalten sehr, und so hatte sie sich von der Hochzeit auch eine innerfamiliäre Legitimierung ihrer Beziehung versprochen. Ich selbst war mir allerdings ziemlich sicher, dass eine Ehe an der Einstellung von Ahmeds Clan nichts geändert hätte. Möglicherweise hätte er ihnen noch nicht einmal etwas von seiner Eheschließung erzählt. Aber das war ja jetzt hinfällig, jetzt konnte er Petra weiter hinhalten und trotzdem in Deutschland bleiben.
»Sollte mir hier jemals die Flucht gelingen, dann nehme ich dich mit«, versprach ich ihr.
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