Gefangen in Deutschland
einen müssen die Behörden den Eltern diesen Straftatbestand erst einmal nachweisen, was gar nicht so einfach ist, wie du dir sicher vorstellen kannst. Wenn nämlich die ganze Familie abstreitet, das Mädchen sei unter Zwang verheiratet worden, und die Betroffene selbst aus lauter Angst vor der drohenden Bestrafung den Mund hält, was willst du als deutscher Polizist oder Staatsanwalt dann machen? Und zum anderen werden die Mädchen, die hier aufgewachsen sind, auch oft einfach in ihre Heimatländer ausgeflogen, wo sie dann mit einem ortsansässigen Mann zwangsverheiratet werden. So entgehen die Eltern der Strafverfolgung in Deutschland. Und sind die Mädchen erst mal weg, kräht natürlich kein deutscher Hahn mehr nach ihnen! Zumal sie nach einer Weile der Abwesenheit sowieso die deutsche Staatsbürgerschaft verlieren. Sie haben also praktisch keine Chance – außer der Flucht! Nur: Welches muslimische junge Mädchen macht das schon, dass es alle Brücken hinter sich abbricht und sich noch dazu der Verfolgung seiner rachsüchtigen Familie aussetzt?«
Ich fand keine Worte mehr zu Petras Erläuterungen. Das Ausmaß des Elends, das ich anhand eines konkreten Falles persönlich hatte miterleben müssen, schien noch viel größer zu sein, als ich mir je hätte träumen lassen.
»Weiß man denn, wie viele Mädchen hier bei uns von diesem skandalösen Unrecht betroffen sind?«, brachte ich noch immer um Fassung ringend hervor.
»Genaue Zahlen kennt niemand, Katja. Die Dunkelziffer ist enorm hoch. In den wenigsten Fällen bekommt die Außenwelt ja mit, was in diesen Familien wirklich abläuft.« Petra zuckte resigniert mit den Schultern. »Das siehst du doch an uns! Wir beide haben ja auch keinen Kontakt mehr zu unseren alten Freunden. Und was bei uns so passiert, ist ja nun auch nicht immer toll. Aber es ändert ja doch nichts – oder?«
Fast mussten wir beide lachen, so fatalistisch hatte ihre letzte Äußerung geklungen. Na, immerhin hatten wir unseren Galgenhumor noch nicht ganz verloren! Und Petra hatte es tatsächlich geschafft, meine Stimmung wieder etwas zu heben. Es war schon sehr gut, eine Freundin zu haben, mit der man sich aussprechen konnte, auch wenn sich die Lage selbst dadurch natürlich kein Stück besserte.
Nachdem ich mich schließlich aufgerafft hatte, den Heimweg anzutreten, wartete Mahmud schon voller Zorn in unserer Wohnung auf mich.
»Ich wollte dich nicht blamieren, Mahmud!«, rechtfertigte ich mich sofort. »Aber ich konnte es dort einfach nicht mehr aushalten! Als du mir gesagt hast, wir würden zu einer Hochzeit gehen, dachte ich an eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau. Hättest du mir gleich gesagt, dass eine Hochzeit bei euch gleichbedeutend ist mit der Vergewaltigung eines Kindes durch einen alten Mann, wäre ich gar nicht erst mitgegangen.«
Mahmud hatte mir ausnahmsweise einmal aufmerksam zugehört. Als ich geendet hatte, brach er unvermittelt in herzhaftes Gelächter aus. Irritiert blickte ich ihn an. Woraufhin er noch lauter lachte.
»Oh, sevgili, du bist wirklich dumm! Ayla kann froh sein, so einen guten Mann abbekommen zu haben! Er verdient viel Geld und sie wird in der Lage sein, ein sorgenfreies Leben zu führen.«
»Mahmud, ich kann es nicht fassen, was du gerade von dir gibst!«, schüttelte ich unwillig den Kopf. »Wie lange lebst du schon in Deutschland? Was seid ihr nur für Menschen, du und deine Familie, dass ihr so denkt?« Es gelang mir nicht, meine Tränen zurückzuhalten. »Euer ganzes Leben dreht sich nur um die Familienehre, um irgendwelche Regeln und die Unterdrückung eurer Frauen und Töchter«, fuhr ich schluchzend fort. »Der einzige Ort, an dem sich bei euch Männer und Frauen wirklich treffen, ist das Bett. Aber selbst da hat die Frau kein Mitbestimmungsrecht und soll ihrem Mann rund um die Uhr mit ihrem Körper zur Verfügung stehen. Was hat das alles mit Liebe zu tun? Bei euch wird ja sogar das Essen getrennt voneinander eingenommen, wenn Besuch kommt. Die Frauen müssen den Männern die Mahlzeiten im Wohnzimmer servieren und sie selbst dürfen dann wie die Dienstboten in der Küche essen. Wo ist da Platz für Vertrauen und ein echtes Miteinander?«
Mahmud hatte mir schweigend zugehört. Als ich geendet hatte, bemühte er sich um einen ruhigen, sachlichen Ton.
»Ach, Katja, ich habe dir doch schon oft genug erzählt, dass in unserer Tradition die Liebe keine Rolle spielt. Es geht einzig und allein darum, dass die Frau durch den Mann
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