Gefangen in Deutschland
fröhliches Quieken zurück in die Gegenwart.
In dem Café herrschte reger Betrieb. Seit ich mit Mahmud und seiner Familie zusammenlebte, registrierte ich viel genauer, welche Kleidung die deutschen Frauen trugen oder wie Paare öffentlich miteinander umgingen. Mein Blick verfolgte gerade, wie ein junger Vater seinen Sohn mit Eis fütterte, als ich aus den Augenwinkeln Mahmuds Vater wahrnahm, der sich mit Mahmuds Onkel durch die Eingangstür des Cafés schob.
Mein Herz fing wie wild an zu hämmern. Völlig panisch zupfte ich Aysegül am Ärmel und machte sie auf die beiden Männer aufmerksam. Von einer Sekunde auf die andere wurde sie leichenblass. Und bevor ich reagieren konnte, hatte sie mich auch schon unter den Tisch gezogen. Zusammengekauert hockten wir da und überlegten, was nun zu tun sei. Immerhin schaffte ich es, unbemerkt unsere Kopftücher unter den Tisch zu holen. Schnell banden wir diese um, und ich betete im Stillen, dass Özlem nicht ausgerechnet jetzt zu weinen anfangen und dadurch die Aufmerksamkeit auf unseren Tisch lenken würde. Denn sollte Mahmuds Vater uns entdecken, wartete ganz sicher jede Menge Ärger auf uns. Keiner Frau der Familie war es erlaubt, ohne männliche Begleitung ein öffentliches Café zu besuchen.
Just in dem Moment kam die Kellnerin auf unseren Tisch zu, in der Hand die beiden Teller mit der Torte. Irgendwie gelang es mir, ihr zu signalisieren, dass wir uns unter dem Tisch versteckt hatten und auf keinen Fall bemerkt werden durften. Glücklicherweise zeigte sie großes Verständnis für unsere Not. Mit ihrer Hilfe konnten wir das Café bereits kurze Zeit später – unbemerkt von Mahmuds Vater und Onkel – durch den Hintereingang verlassen.
Als wir wieder auf der Straße standen, atmete ich tief durch. Das war ja gerade noch mal gut gegangen! Auch Aysegül stand der Schrecken noch ins Gesicht geschrieben. Wir fühlten uns, als hätte uns jemand bei einer Straftat ertappt. Hätte man mir vor meiner Mahmud-Zeit erzählt, dass sich etwas so Selbstverständliches wie ein Cafébesuch mit einer Freundin eines Tages zu einem Problem für mich auswachsen würde, ich hätte laut gelacht.
16. K APITEL
Die neuen Nachbarn
A ls ich ein paar Tage später zufällig aus dem Küchenfenster schaute, sah ich einen Lkw vor dem Nachbarhaus vorfahren. Offenbar ein Umzugswagen. Aysegül hatte gar nichts davon erwähnt, dass wieder eine Wohnung in ihrem Haus frei geworden war. Neugierig beobachtete ich, wie zwei Männer und zwei Frauen begannen, Kisten auf dem Gehweg zu stapeln. Ich vermutete, dass es sich bei den neuen Nachbarn ebenfalls um eine türkische Familie handelte, denn die Frauen trugen Kopftücher und einer der Männer rief dem anderen etwas auf Türkisch zu.
Ein Gefühl der Enttäuschung machte sich in mir breit. Wie sehr hätte ich mich über nette deutsche Nachbarn gefreut! Die Einzige, die von meinem »deutschen« Leben noch übrig geblieben war, war Petra. Manchmal vergaß ich sogar, dass ich mich in Deutschland befand. Ich fühlte mich wie eine Fremde im eigenen Land. Meine alte Clique hatte ich schon ewig nicht mehr gesehen. Mahmud hatte meine sozialen Kontakte nur auf seine Familie beschränkt. Und den Kontakt zu Petra duldete er lediglich, weil Ahmed einer seiner besten Freunde war. Selbst die selten gewordenen Besuche bei meiner Mutter fanden nur unter seiner Aufsicht statt. Er achtete peinlich genau darauf, dass ich keinerlei Möglichkeit hatte, mit meiner Mutter unter vier Augen zu sprechen. Mahmud wusste, dass ich sie niemals am Telefon mit meinen Sorgen belastet hätte, viel zu groß war meine Angst, dass sie sich wieder in ihre Alkoholsucht flüchten könnte. Allein in meinen wirren nächtlichen Träumen lebte ich deutsch. Oft wachte ich morgens auf und merkte, dass ich wieder einmal im Schlaf geweint hatte.
Als Mahmud an dem Abend von der Arbeit nach Hause kam, hatte er ziemlich schlechte Laune. Kaum hatte ich das Essen auf den Tisch gebracht, legte er auch schon los.
»Das Essen ist eine Katastrophe, Katja! Das würde noch nicht mal ein Hund fressen!«
»Dann lass es einfach stehen«, antwortete ich so ruhig wie möglich.
Mahmuds Mund wurde ganz spitz. Dann sprang er auf und warf den Teller mitsamt Inhalt vor meine Füße auf den Küchenboden.
Geistesgegenwärtig drehte ich den Kopf zur Seite, um den aufspritzenden Scherben auszuweichen. Ich zitterte am ganzen Körper und es fiel mir wahnsinnig schwer, nach außen hin ruhig und beherrscht zu wirken. Mir
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