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Gefangen

Gefangen

Titel: Gefangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Lim
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einundneunzig herum, steht selbst Tiffany kurz vor dem Zusammenbruch, und ihre Augen schimmern verdächtig, als Paul sie anbrüllt: „Doppelforte, Mädchen. Dir wird doch jetzt nicht die Puste ausgehen! Wenn dir das in der Carnegie Hall passiert, bist du erledigt. Dann wirst du nie, nie wieder auftreten.“
    Das abschließende Deo Patr i – Gott dem Vate r – peitscht durch den Raum, alle neun Takte, und als wir fertig sind, schwer atmend, als wären wir um unser Leben gerannt, sehen wir uns verwundert an. Spencer wischt sich den Mund mit seinem speckigen Handrücken ab, Tiffanys Gesicht ist hochrot vor Anstrengung und Delia keucht hörbar.
    „Na also, das nenn ich eine Probe!“, meint Paul grinsend und knallt zufrieden seine Partitur zu. „Dann gehen wir jetzt zu den anderen zurück und machen ihnen gründlich die Hölle heiß.“
    Ein bisschen wacklig stehen wir von unseren Plätzen auf, umklammern unsere Partituren. Ich will gerade vor den anderen den Raum verlassen, als Paul leise, fast nebenbei, meinen Namen sagt, sodass seine Frage beinahe im Stühlescharren untergeht. „Carmen? Ein Wort, bitte. Kommst du mit mir?“
    Tiffany wirft mir einen giftigen Blick zu und fegt aus dem Zimmer, Delia an ihrer Seite, und Spencer schaut etwas belämmert zu mir und Paul zurück, als wir hinter der Gruppe zur Versammlungshalle gehen.
    „Ich muss zugeben, mir hat die Art nicht gefallen, wie Gerard dich zu Beginn der Probe in den Himmel gehoben hat“, sagt Paul so leise, dass nur wir beide es hören können. „Er macht zu viel Wirbel um seine Lieblingsschülerinnen. Das führt z u … Gerede.“
    Ich sehe ihn fragend an. Lauren war mit Sicherheit eine seiner Lieblingsschülerinnen.
    „Das ist unprofessionell“, fährt Paul grimmig fort. „Und ich bin auch nicht mit seinen Methoden einverstanden. Das gibt nur Eifersüchteleien. Aber das hier, meine Liebe“, er lächelt mich zum ersten Mal an diesem Morgen an, „war in Wahrheit ein weiterer Test. Und du hast deine Sache glänzend gemacht. Tiffany und Delia“, seine Stimme klingt leicht verächtlich, „die sind nur Singvieh. Gewöhnlich. Aber d u …“ Er grinst anerkennend und eine leichte Röte erscheint auf seinen hohen Wangenknochen.
    „Ich würde Tiffany nicht unbedingt al s … gewöhnlich bezeichnen“, unterbreche ich ihn. Ich habe es eilig, in die große Halle zu kommen. In Gedanken bin ich bereits bei Gerard Masson. Und wenn ich ein verdammtes Weihnachtslied auswendig lernen muss, nur um in den Kopf dieses Mannes einzudringen, nun, dann soll es so sein.
    Vereinzelte Grüppchen aus dem Männerchor tauchen jetzt im Flur um uns herum auf, und Paul Stenborg wird noch leiser. „Sie ist nichts“, beharrt er. „Eine kräftige Stimme, ja, da gebe ich dir Recht. Aber schrill. Kein langer Atem. Gut für den Opernchor im Höchstfall. Du dagegen hast das Zeug dazu, alles zu singen und überall. Eine Stimme wie deine ist mir nur wenige Male in meiner Laufbahn begegnet. Meiner Meinung nach, singst du sie alle an die Wand. Das werde ich so auch Gerard sagen, der mich schon nach meiner Meinung gefragt hat. Du bist unerreicht. Lass dich nicht von jemandem wie Tiffany unterkriegen. Sie ist keine Konkurrenz für dich.“
    „Ach ja?“, sage ich und spüre ein plötzliches Unbehagen, wie ein Ziepen in der Seite.
    Carmen? Hörst du das?
    „Gerard hatte Recht, meine Liebe.“ Ich wende mich wieder Paul zu, sobald Massons Name fällt. „Diese wahnsinnige, halsbrecherische Mahler-Version vorhin war seine Idee. Er wollte, dass ich dich unter Druck setze und alles aus dir heraushole. Und ich muss sagen, du hast seine Erwartungen weit übertroffen! Er wird begeistert sein, wenn er hört, was wir heute Morgen erreicht haben. Mehr als begeistert. Er hat große Pläne für dich, sagt er.“
    Hat Gerard Masson mir hinterrücks eine Falle gestellt? Termine über meinen Kopf hinweg ausgemacht? Der Gedanke bringt mich dazu, meine Schritte zu beschleunigen. Ich muss so schnell wie möglich in den Versammlungsraum, um an Masson heranzukommen. Ich muss es wissen!
    Paul neben mir passt sein Tempo an und hält mühelos Schritt. „Eine Begabung wie deine ist äußerst selten“, vertraut er mir an. Meine Augen heften sich an Spencers Hinterkopf bei diesen Worten, aber der hört nichts und blickt sich auch nicht nach mir um.
    „Tatsächlich?“, sage ich, während wir um die Ecke biegen. Plötzlich ist der Flur gerammelt voll mit Chormitgliedern und alle streben demselben Ziel zu wie

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