Gefangen

Opernhäuser des Landes bekommen könnte, wenn sie Ende des Jahres ihr Gesangsstudium abgeschlossen hat. Habebeste Chancen, eine Berühmtheit zu werden.“
    Wieder spüre ich dieses leichte Unbehagen, das wie ein Muskelzucken ist. Carmen? So eine Karriere wünscht sie sich auch, das weiß ich jetzt, und einen Augenblick lang plagt mich mein schlechtes Gewissen. Dass ich hier bin, um für Lauren und für Ryan zu kämpfen anstatt für sie.
    Oder vielleicht kämpfst du auch nur für dich selbst, sagt die böse Stimme in mir.
    Ich rutsche unbehaglich auf meinem Sitz herum. Darin steckt möglicherweise ein Körnchen Wahrheit. Ich verziehe das Gesicht, als sich das seltsame Stechen in meiner Seite plötzlich wieder meldet.
    „Irgendeine Beschreibung, wie sie aussieht?“, frage ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    „Braune Haare“, murmelt Ryan zerstreut und liest weiter.
    Wir starren auf den körnigen kleinen Schnappschuss von Jennifer Appleton, einer strahlenden jungen Frau mit rundem Gesicht, Brille und langem, welligem Haar.
    „Hier steht, dass sie groß sei“, werfe ich ein.
    Ryan runzelt die Stirn. „Lauren ist klein, kaum größer als du. Außerdem ist das Mädchen hier älter. Körperlich sind sie die totalen Gegensätze. Vielleicht war es voreilig von uns, hier irgendeine Verbindung herzustellen.“
    Jetzt runzle ich die Stirn, während ich den Artikel überfliege. „Nicht, wenn du die Beschreibung des Tatorts mit einbeziehst. Sie stimmt genau mit allem überein, was ic h …“ Ryan wirft mir einen strengen Blick zu. „ … was ich von verschiedene n … ä h … Seiten gehört habe.“
    Angewidert schüttelt er den Kopf, dann überfliegt er den Abschnitt, den ich gerade gelesen habe. „Kein Hinweis auf gewaltsames Eindringen, aber Blut überall, weggeworfene Plastikhandschuhe, Plastik-Überschuhe, eine Spritze, die für toxikologische Tests mitgenommen wurde. Ihr Vater hat sie nach Hause gebracht, dann ist er zum Fest zurück. Ein paar Stunden später, als die Eltern nach Hause kamen, war sie verschwunden. Die körperlichen Beweisspuren scheinen am Gartentor zu enden. Genau wie bei Lauren. Es ist, als hätte sie sich in Luft aufgelöst, sobald der Psycho sie draußen hatte. Keine Reifenabdrücke, keine Zeugen. Was bedeutet, dass der Täter sich hier ausgekannt haben mus s …“
    Er blickt starr durch die fliegenverklebte Windschutzscheibe, während ich weiterlese und meinen vierten Schokoriegel verschlinge. Der zweitletzte Abschnitt bringt mich dazu, meine Hand mit aller Kraft in seine Schulter zu krallen.
    „Was ist?“, fragt er erschrocken.
    Ich zeige wortlos auf die Stelle und er liest laut vor: „Der Sprecher der Appleton-Familie, Laurence Barry, ist Musikleiter an der Little Falls Academy und Pfarrer der anglikanischen Kirche von Little Falls. Pfarrer Barry hielt den Traugottesdienst bei Julia Castles Hochzeit und ist ein ehemaliger Lehrer des vermissten Mädchens. Er appelliert an alle Mitbürger, die etwas gesehen oder gehört haben, sich umgehend mit der Polizei in Verbindung zu setzen.“
    Ryan schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
    „Er war heute hier“, erkläre ich. „Bei der Probe. Er war bei jeder Probe. M r Barry, das ist doch der alte Knacker aus der Karaoke-Bar.“
    Ryans Gesicht hellt sich auf, als es ihm endlich dämmert. „Er kann Lauren auf dieselbe Weise kennengelernt haben“, füge ich hinzu. „Oder sogar ganz sicher. Die Musikschüler von Little Falls, Port Marie und Paradise kommen anscheinend öfter zu solchen gemütlichen Treffs zusammen. Lauren war dabei häufig der Star. Ich war die ganze Zeit total auf Gerard Masson fixiert, aber vielleicht ist Laurence Barry das fehlende Glied in der Kette. Nicht viele Leute können gewusst haben, dass Jennifer wieder da war. Und dann die Kirche!“
    Ryan startet den Motor, legt den Rückwärtsgang ein. „Okay, dann machen wir jetzt mal ’ne kleine Spritztour“, sagt er grimmig.
    „Und hier ist es?“, frage ich.
    Wir haben einen Block vom Grundstück der Appletons entfernt geparkt. Vor dem kleinen Holzhaus ist noch ein lockeres Absperrband von der Spurensicherung zu sehen. Ein Polizeiwagen mit stumm blinkenden Lichtern steht draußen, und der Einsatztrupp, zwei bullige Polizisten, leitet den Ortsverkehr um und hält die Schaulustigen fern.
    Dieselbe Szene erwartet uns auch vor dem Gebäude, in dem Trauung und Hochzeitsempfang stattgefunden habe n – einem historischen Siedlerhof auf der Straße von