Gefangen
würden. Wir könnten das Konzert doch mit dir eröffnen“, fügt er hinzu, und jetzt habe ich wieder seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Wir würden dem Publikum zu Beginn des Abends etwas Aufbauendes bieten, bevor wir e s … hah a … sozusagen mit allem, was wir haben, wegfegen. Kannst du heute Abend nach der Probe noch dableiben, damit wir gleich Nägel mit Köpfen machen können? Wir müssen auch ein paar zusätzliche Proben einplanen, Einzelstunden bei mir natürlich. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Aber bei deiner Auffassungsgabe wird das sicher kein Problem sein. Ich habe auch schon mit Fiona Fellows gesprochen. Sie ist absolut dafür, dass du mehr Verantwortung übernimmst. Sie meint, es werde dir guttun.“
Das sieht ihr ähnlich, denke ich grimmig. Aber ich nicke bra v – was bleibt mir auch anderes übrig?
Nachdem er meine Zustimmung in der Tasche hat, lässt M r Masson mich endlich los, segelt nach vorne zum Podium und ruft in den Saal: „Heute Morgen müssen wir ein bisschen Dampf machen, Leute! Wir haben nur noch eine Woche, um das Ding zu schaukeln!“ Dabei blinzelt er mir verschwörerisch zu, was natürlich nicht unbemerkt bleibt.
„Du bist so eine falsche Schlange!“, zischt Tiffany wütend, dann zeigt sie mir die kalte Schulter.
Die Stimmung im Saal ist kaum weniger eisig, und bei der Aussicht, diesen Raum am nächsten Montag noch mal zu betreten und wieder von vorne anzufangen, entfährt mir fast ein Stöhnen.
M r Masson fährt gut gelaunt fort: „Heute übernehmen Miss Dustin und ich die Damen vom Cho r – in der Versammlungshalle.“ Die fraglichen „Damen“ verdrehen nur die Augen und meckern laut herum. „M r Barry und Miss Fellows gehen mit den Männern in den Aufenthaltsraum der Seniors.“
„Nur über meine Leiche“, schnaubt einer der Witzbolde laut, begleitet von Gelächter.
„I solisti“ , sagt M r Masson mit übertriebenem italienischem Akzent und geht mit einem starren Lächeln über den Zwischenruf hinweg, „werden sich zu einem Tête-à-tête mit M r Stenborg versammeln. Er hatte ein paar gute Ideen, wie der Part der Männerstimmen in Phrase dreißig verbessert werden kann. Ihr müsst zugeben, dass hier noch ganz schön geschlampt wird. Ich habe ihn gebeten, mit jedem Einzelnen von euch zu arbeiten, bis alle Übergänge sitzen.“
„Spencer, Spencer, Spencer!“, ruft jemand dazwischen und wieder lachen alle.
Ich suche den Raum ab und entdecke Spencer sofort in der spärlich besetzten Tenorreihe. Wie immer wird er knallro t – ein Bild des Jammers in seinem Versandhauskatalog-Outfit.
M r Masson runzelt die Stirn. „Also bitte, hier wird keiner zum Sündenbock gemacht! Ihr könnt alle ein bisschen Nachhilfe gebrauchen. Außer Carmen natürlich.“
Wieder strahlt er in meine Richtung, dieser Einfaltspinsel. Natürlich fangen jetzt alle zu tuscheln an und recken die Hälse, um meine Reaktion zu sehen.
„Carmen ist absolut noten- und stimmsicher, seit sie wieder zu sich selbst gefunden hat“, sagt er. „Und das kann man von euch anderen leider nicht behaupten.“
Er redet leichthin, um seinen Worten das Verletzende zu nehmen. Das ändert aber nichts daran, dass Tiffany rot anläuft vor Empörung, denn sie war die ganze Zei t – das muss ich zugebe n – genauso noten- und stimmsicher wie ich. Nur scheint das in letzter Zeit niemand zu merken und so eine Behandlung ist sie nicht gewöhnt.
„Vorsicht, verknallt!“, zischt jemand gehässig hinter mir und die Leute um mich herum lachen.
Carmens Gesicht bleibt unverändert. Ich drehe mich nicht mal um, denn im Gegensatz zur echten Carmen ist mir egal, was die Leute denken.
„Also, die Solisten bitte zu Paul“, beendet Gerard Masson seinen Vortrag. Er stolpert leicht gegen das Mikrofon, als er vom Dirigentenpodium heruntersteigt, aber ich bin die Einzige, die es bemerkt.
Tiffany springt als Erste auf, drückt ihre Noten an die Brust und plaudert angeregt mit Paul Stenborg, der ihr sein klassisches Profil zudreht, bis wir anderen unsere Sachen zusammengepackt haben. Zu siebt folgen wir dem sexy Chorleiter in den Raum, den der Sopran am Vortag belegt hat, und stellen unsere Stühle um das Klavier herum auf. Tiffany thront natürlich ganz vorne in der Mitte, wie üblich, während ich außen am Rand in der Nähe der Tür sitze. Spencer lässt sich schüchtern neben mir nieder.
Wortlos zieht er die Augenbrauen hoch, als wollte er sagen: „Na also, da wären wir wieder.“ Ich erwidere seinen stummen
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