Gefangene deiner Dunkelheit
Gingen Karpatianer denn gar nicht in Hotels? »Für so was habe ich nicht genug Insektenspray dabei.«
»Ich kümmere mich schon um die Insekten. Trau dich einfach. Du wirst begeistert sein.«
MaryAnn seufzte. Dieses Lächeln, diese Augen und sein Lachen, obwohl sie es nur im Geiste hörte, stellten ganz eigenartige Dinge mit ihrem Magen an. Durch ihre geistige Verbindung konnte sie sehen, wie »süß« er sie fand. Als süß hätte sie sich selber nie bezeichnet, aber was machte das schon? Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, wenn es Manolito Freude bereitete. Er war kein Mann, der sehr viel lachte, und deshalb würde sie auch nachgeben und mit ihm in seine Höhle gehen.
»Ich kann verstehen, woher du deine Neandertal-Mentalität hast, wenn du ständig hier herumhängst«, murmelte sie, doch sie schob sich durch den Spalt, wobei sie allerdings sehr darauf bedacht war, die Felswand rechts und links von ihr nicht zu berühren.
Sie verdrängte ihre Furcht und zwang sich, ein paar Schritte zu gehen, aber nur gerade so weit, dass auch Manolito hereinkommen konnte. Die Hitze seines Körpers wärmte sie, als sie dicht beieinanderstanden und die vielen Zeichnungen von Tieren an den Felswänden betrachteten. Es war wie ein Kunstmuseum mit Werken aus vielen aufeinanderfolgenden Jahrhunderten. Einfache Strichfiguren wurden abgelöst von komplizierteren und detaillierteren Arbeiten, die alle von einzigartiger Schönheit waren und ein Gefühl von Zeitlosigkeit ausstrahlten. Die Bilder gaben eine Gruppe von Jaguarmenschen wieder, von denen einige in menschlicher Gestalt, andere während der Verwandlung und wieder andere schon ganz und gar als Raubtier dargestellt waren.
»Glaubst du, dass sie einmal so zusammengelebt haben?«, fragte MaryAnn und berührte behutsam eins der Katzenohren auf der Zeichnung. »Da ist ein Lagerfeuer. Männer halten ihre Frauen im Arm, und Kinder spielen. Ist es jemals so gewesen?«
»Ich habe sie nie so gesehen, und ich bin schon sehr lange auf dieser Welt, aber der Jaguar und der Wolf waren schon immer sehr vorsichtig und geheimnistuerisch, was ihre Gesellschaften betraf. Ich habe ein paarmal neben ihnen gekämpft, sie jedoch nie in ihrer eigenen Umgebung gesehen.«
»Du solltest diese Bilder Luiz zeigen.«
Manolito zuckte mit den Schultern. »Irgendwann einmal vielleicht. Die Höhle ist eine meiner liebsten Ruhestätten, und wir lassen nur selten jemand wissen, wo wir schlafen.«
Da war etwas in seiner Stimme, in seinem Geist, das MaryAnn erreichte. Traurigkeit. Und Vorsicht. Sie verhielt den Schritt und lehnte sich an seine Schulter. »Du hast Angst, dass Luiz es nicht schaffen wird.«
Manolito legte seine Arme um sie. »Ich glaube, dass Gefühle und insbesondere Furcht zu haben sehr beunruhigend sein kann. Du hast recht, ich mache mir Sorgen um Luiz. Ich mag den Mann. Ich dachte, ich hätte ihn nur verwandelt, weil du mich darum gebeten hattest, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
Sie drehte sich in seinen Armen und schob eine Hand unter sein Haar, um zärtlich seinen Nacken zu umfassen. »Wenn er nicht überlebt, Manolito, ist es nicht deine Schuld. Du hast alles für ihn getan, was in deiner Macht stand. Und ich danke dir dafür – ob du es nun nur meinetwegen getan hast, für ihn oder weil er ein Freund ist –, danke, Manolito.«
Er küsste sie auf ihre Nasenspitze. »Sehr gern geschehen«, sagte er und legte seine Hände an ihre Wangen. »Ich muss mich persönlich davon überzeugen, dass der Vampir nichts hinterlassen hat, was dir schaden könnte. Dafür brauche ich eine Minute.«
»Riordan hat gute Arbeit geleistet. Mir tut alles noch ein bisschen weh, aber abgesehen davon geht es mir gut.«
Manolito widersprach nicht, ließ einfach nur seinen Körper hinter sich zurück und glitt mit seinem Geist in sie hinein. Er ließ sich reichlich Zeit, um sich zu vergewissern, dass nicht ein einziger Parasit Riordans scharfem Blick entgangen war. Als er wieder in seinen eigenen Körper zurückkehrte, stampfte MaryAnn schon ungeduldig mit dem Fuß auf.
»Bist du jetzt zufrieden?«
»Ja. Fürs Erste. Aber später werde ich mir noch jeden Zentimeter deiner Haut ansehen.«
»Gut. Das Gleiche gedenke ich nämlich auch bei dir zu tun.«
Er grinste sie an. »Komm, lass mich dir die Höhle zeigen.« Er schwenkte beiläufig eine Hand in Richtung Eingang, und der Spalt im Fels stöhnte und knackte so laut, dass MaryAnn entsetzt nach Luft schnappte und ihm fast auf die Schultern
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