Gefangene der Dunkelheit
murmeln.
»Das weißt du nicht«, scherzte Sean und zerzauste ihr Haar.
»Ich denke schon«, erwiderte sie. »Je eher wir ihn loswerden desto besser.«
Bevor Sean antworten konnte, kam Michael, ein weiterer seiner zuverlässigsten Männer, herein. Er hatte Evan nahegestanden, dem Mann, den DuMaine getötet hatte, und war wahrscheinlich vor Kummer tief betrübt. Aber ihm war nichts anzumerken. »Die Ritter werden im Hof festgehalten«, sagte er und blickte zu den Gefangenen. »Sie alle.« DuMaine eingeschlossen, schienen seine Augen zu sagen.
»Sehr gut«, erwiderte Sean und nickte. »Meister Silas, wir werden uns morgen früh weiter unterhalten.« Er wandte sich den wartenden Wachen zu. »Bringt sie nach oben, zur Rückseite des Turms.« Sein Blick begegnete dem des alten Mannes. »Und haltet das Kind von den Fenstern fern.«
Der alte Mann wurde blass, aber er nickte. »Ja … das werde ich.« Er ging auf die Treppe zu, das Kind hielt er noch immer in den Armen.
»Nein!«, forderte die Kleine und wehrte sich jäh. »Meister, wo ist mein Papa? Ich will meinen Papa sehen.«
Siobhan wollte plötzlich nichts mehr, als dass diese Nacht vorüber wäre, damit sie wieder in den Wald zurückgehen und einen kühlen, sicheren Platz finden könnte, um sich dort unter den Sternen hinzulegen. Dabei hatten sie mit dem, was sie tun wollten, kaum begonnen. Das Kind begann zu weinen, und auch Siobhans Augen füllten sich trotz ihrer Entschlossenheit mit Tränen. Sie erinnerte sich deutlich an diesen Schmerz. Sie wusste einfach, wie sich die Kleine fühlte. Aber sie durfte sich nicht hinstellen und mit ihr weinen, sie konnte sich dieses Mitgefühl nicht leisten. Sie wandte sich um, als das Kind weggeführt wurde.
»Komm«, sagte Sean und legte einen Arm um ihre Schultern, während die Wachen die Gefangenen nach oben geleiteten. Das Kind beobachtete sie noch immer und hatte Tränen auf den Wangen. »Komm mit mir.«
Er führte sie aus dem Turm hinaus und über die Brücke in den Hof. Tristan DuMaine war in dessen Mitte an Händen und Füßen an ein hölzernes Gerüst gefesselt und hatte einen dicken Knebel im Mund. Aber er wirkte dennoch überwältigend und so kraftvoll, wie sie es noch nie bei einem Mann gesehen hatte. Er musste in aufrechter Haltung einen vollen Kopf größer sein als Sean, und seine Arme wirkten dick und unglaublich muskulös, während er an seinen Fesseln zerrte. Seine vier verbliebenen Ritter wurden vor ihren und Seans Augen aus einem Schuppen geführt und in einer Reihe angekettet. Ihnen folgte ein erst zwölf- oder dreizehnjähriger Junge. »Wer ist das?«, fragte sie ihren Bruder.
»DuMaines Knappe«, antwortete Sean mit grimmiger Miene. »Ich habe ihn praktisch angefleht, uns die Treue zu schwören, aber er weigerte sich.« Der Junge stolperte und prallte gegen den Ritter vor ihm, und DuMaine stieß durch seinen Knebel hindurch einen Schrei aus, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Michael eilte vorwärts und half dem Jungen wieder auf.
»Was werdet ihr mit ihm tun?«, fragte Siobhan. DuMaine war wieder still, aber er beobachtete sie. Seine grünen Augen durchbohrten sie. »Sean?« Sie bemerkte plötzlich, dass ein großer Holzblock aufgestellt worden war, während ein weiterer von Seans Rebellen mit einer Axt in der Hand über den Hof kam. »Sean, nein … nicht der Junge.« Sie wandte sich wieder DuMaine zu und zog ihren Bruder mit sich. »Bitte …«
»Siobhan, wir haben keine andere Wahl.« Seans Griff um ihren Arm war fast schmerzhaft, und der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte, dass er sich ebenso entsetzlich fühlte wie sie, wenn nicht schlimmer. »Die einfachen Soldaten, die den Kampf überlebt haben, werden verschont – wir erkaufen uns ihre Ergebenheit durch Gnade. Aber diesen Rittern können wir nichts anbieten. Wenn wir sie am Leben lassen, werden sie zu ihrem König gehen …«
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Aber der Junge …«
»Der Junge ist schwer verwundet.« Er schaute über ihre Schulter zu den Gefangenen, und auch sie blickte zurück. Michael stützte den Jungen noch immer, hatte einen Arm um seine Schultern gelegt und sprach ihm eindringlich ins Ohr, aber der Junge schüttelte nur den Kopf. »Er würde die Nacht nicht überleben, selbst wenn wir ihn verschonten«, sagte Sean.
»Was würde es dann schaden?«, fragte sie. Sie legte eine Hand an seine Brust. »Sean, bitte. Er ist noch ein Kind.«
Er lächelte grimmig. »Wie du es warst, als unser Vater starb«,
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