Gefangene der Flammen
spricht oder auch nur versteht.«
Riley runzelte die Stirn. »Aus den Karpaten? Wie in aller Welt könnte ein Analphabet aus einem abgelegenen Dorf im Amazonas eine alte europäische Sprache kennen und sprechen, von der nicht einmal ich als Sprachwissenschaftlerin gehört habe? Aber lassen wir das! Darüber können wir später reden. Im Moment interessiert mich mehr, was er gesagt hat.«
Jubal blickte über ihren Kopf hinweg zu Gary.
» Lass das! Sieh nicht ihn an, sondern mich! Ich weiß, dass ihr ihn verstanden habt«, beharrte Riley. »Dieser Mann hat versucht, meine Mutter umzubringen. Und er hat die ganze Zeit gesagt: Hän kalma, emni han ku köd alte. Tappatak naman. Tappatak naman.« Sie wiederholte den Satz in perfekter Tonlage und Betonung und klang dabei genau wie Raul. »Ich will wissen, was das bedeutet.«
Jubal schüttelte den Kopf. »Leider weiß ich die Antwort darauf nicht. Wirklich nicht, Riley. Ich bin nicht so gut in dieser Sprache wie Gary, und ich will keinen Fehler machen. Ich glaube, dass ich das Wesentliche dessen, was Raul sagen wollte, erfasst habe, doch wenn ich nun falsch übersetze und dich damit noch mehr beunruhige …«
»Der Mann ist mit einer Machete auf meine Mutter losgegangen. Ich glaube nicht, dass seine Worte noch beunruhigender als sein tätlicher Angriff sein könnten«, fauchte Riley ihn an und schämte sich sofort dafür. Sie brauchte die Hilfe dieses Mannes. Gary, Ben und Jubal hatten zweifelsohne nicht nur ihrer Mutter das Leben gerettet, sondern wahrscheinlich auch ihr selbst. »Entschuldige bitte! Du hast geholfen, meine Mutter zu verteidigen, und dafür bin ich dir sehr dankbar. Aber ich habe Angst um sie und muss wissen, womit ich es zu tun habe.«
Gary kam um Annabels Hängematte herum und blieb vor Riley stehen. »Es tut mir leid, dass das euch beiden widerfährt. Ihr müsst ja wirklich sehr verängstigt sein. Für mich klang es so – und das ist nur eine freie Übersetzung –, als sänge er: ›Tod der verfluchten Frau! Tötet sie! Tötet sie!‹ Das ist in etwa das, was ich seinem Gebrabbel entnehmen konnte.« Er sah Jubal an. »Hast du das Gleiche verstanden?«
Riley wusste, dass er sich Jubal zuwandte, um ihr Zeit zu geben, sich zu fassen. Sie hatte schon erwartet, dass die Übersetzung etwas Bedrohliches ergeben würde – trotzdem war ihr, als hätte sie einen Faustschlag in den Magen erhalten, der ihr den Atem nahm. Riley zwang sich, tief durchzuatmen, und sah zum nächtlich dunklen Himmel über dem Blätterdach hinauf. Wer könnte Annabel etwas antun wollen? Sie war eine wunderbare, liebenswerte Frau. Jeder, der sie kennenlernte, mochte sie. Der Angriff auf sie ergab überhaupt keinen Sinn!
»Raul hat sein ganzes Leben hier im Regenwald verbracht. Wie die meisten Dorfbewohner hat er kaum Kontakt zu Fremden. Wo sollte er also eine fast schon ausgestorbene, ihm völlig fremde Sprache aufschnappen?« Riley gab sich Mühe, nicht herausfordernd zu klingen.
Jubal hatte ihr zweifellos das Leben gerettet, aber er und Gary Jansen erforschten Pflanzen. Beide machten kein Geheimnis daraus, dass sie in die Anden gekommen waren, um eine Pflanze zu suchen, die angeblich schon überall sonst als ausgestorben galt und ursprünglich aus den Karpaten in Europa stammte. Falls diese seltsame Sprache aus der gleichen Gegend kam – wieso gab es die Pflanze und die Sprache dann auch hier in Südamerika? Und was für ein Zufall, dass alle in ihrer Reisegruppe die gleiche Halluzination hatten, die wiederum mit dieser uralten Sprache in Zusammenhang stand, die nur diese beiden Männer verstanden?
Jubal schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Erklärung dafür.«
Er log. Ohne eine Miene zu verziehen, schaute er ihr in die Augen. Sein gut aussehendes Gesicht war geprägt von Sorgenfalten, sein Kinn und Mund waren so fest wie immer, aber er log.
»Oh, doch, die hast du!«, versetzte Riley. »Und du wirst mir jetzt auch sagen, was du weißt.«
Gary seufzte. »Erklär du es ihr, Jubal! Schlimmstenfalls wird sie denken, wir wären genauso verrückt wie dieser Träger.«
»Na schön. Wir wissen nicht mit Sicherheit, was hier vorgeht, doch wir haben unsere Vermutungen. Wir haben Dinge wie diese schon in anderen Teilen der Welt geschehen sehen.« Jubal zögerte. »Glaubst du an die Existenz des Bösen?«
»Du meinst, an Satan oder so?«
»Mehr oder weniger, aber ich spreche nicht von Gott und seinen Engeln.«
Riley unterdrückte ihre erste Reaktion. Am Amazonas geschahen nun
Weitere Kostenlose Bücher