Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Leben eines sterblichen Mannes.«
Zweifelsohne. Und die Zeit drängt. Meine Zauberkraft verliert sich mit jeder verstreichenden Stunde. Du musst sie aufsammeln, und zwar geschwind.
Sie lachte gequält. Welche Bedeutung hätte das alles, ohne Irrylath? Aeriel dachte an die Arbeit, die vor ihr lag, unendlich weit, und an sich selbst, die all die vielen Jahre ohne einen Gefährten zurückbliebe. Einsamkeit übermannte sie. Selbst die Gottgleiche Ravenna hatte Melkior an ihrer Seite gewusst. Aeriel seufzte schwer.
»Dann darf ich Irrylath nie wiedersehen?«
In der Stimme der Gottgleichen lag echtes Bedauern. Leider nicht. Hast du vergessen? Irrylath gehört dem Avarclon.
Jäh schoss Aeriel hoch. Die Erinnerung an den Pakt, den der Prinz mit dem kürzlich erweckten Sternenpferd in Isternes geschlossen hatte, stieg quälend in ihr empor: eine Waffenruhe zwischen ihm und dem geflügelten Streitross, bis die Hexe gestürzt war. Aeriel unterdrückte ein Stöhnen. Sie hatte das Abkommen vergessen, es bis zu diesem Moment aus dem Gedächtnis verbannt. Jegliche Bedenken wären bedeutungslos, falls das Sternenpferd den Tod des Prinzen als Wiedergutmachung für sein eigenes Ableben forderte.
Ich habe meine lons erschaffen, damit sie für Gerechtigkeit sorgen, nicht Barmherzigkeit zeigen, sagte die Gottgleiche schwermütig. In Wahrheit wollte ich dir diesen Kummer ersparen, als ich dich bat, in aller Hast aufzubrechen.
Die Hand des blassen Mädchens verkrampfte sich auf ihrem
schlafenden Gatten. »Nein«, flüsterte sie. »Nein. Sag mir, was ich tun kann …«
Um ihn zu retten, meinte sie, doch der Perlenstaub in ihrem Blut sprach, bevor sie den Gedanken zu Ende formulieren konnte.
Wir haben das Ende des Reimes erreicht, mein Kind. Ich kann dir nur ratend beiseitestehen. Ich kann nichts befehlen. Die Entscheidung liegt bei dir: Irrylath oder die Welt. Wähle mit Bedacht.
Aeriel sträubte sich. Das Sprechen fiel ihr schwer, die Worte schmerzten so sehr. Schließlich flüsterte sie: »Wenn ich Irrylath der Vergeltung des Avarclons überantworten muss, dann lass ihn zumindest als freier Mensch ziehen.«
Ihre Hand zitterte, doch sie spürte, wie der Perlenstaub in ihr sie beruhigte. Die Diamantenklinge ruhte in ihrer Scheide auf der Schärpe des Prinzen, schimmerte schwach. Aeriel zückte das Schwert. Mit einer Hand auf Irrylaths Brust zielte sie mit der weiß glühenden Spitze genau auf die Mitte seines Brustkorbs und fand ihr eigenes lebendes Herz darunter, das sie ihm vor zwei Dutzend Tagmonaten in ihrer Hochzeitsnacht eingepflanzt hatte. Tief im Schlaf versunken, rührte sich der junge Mann nicht. Die Diamantenklinge glitt sanft durch sein Fleisch.
Dann setzte sie das Schwert an ihre eigene Brust, stieß zu und fand Irrylaths schlagendes Herz, das sie in den vergangenen zwei Jahren getragen hatte. Der Perlenstaub durchflutete sie, nährte sie. Kein Tropfen Blut rann von der scharfen, glühenden Schwertspitze der glänzenden Diamantenklinge. Aeriel verspürte nur wohlige Wärme, heiß wie der weiße Sonnenstern. Nachdem sie ihr eigenes Herz aus Irrylaths Brust geholt hatte,
legte sie seines an seinen rechtmäßigen Platz zurück. Mit einer sanften Handbewegung schloss sie das Fleisch. Dann gab sie ihr eigenes Herz in ihre Brust und versiegelte die Wunde. Keine Narbe und kein Mal verrieten, was sie getan hatte.
»Längst«, murmelte sie zu Ravenna, »hast du mich zu einer Zauberin gemacht.«
Die Diamantenklinge funkelte hellleuchtend, ohne jeden Makel, warf Schatten durch den kleinen Pavillon. Einer lag auf Irrylaths Gesicht. Aeriel selbst warf keinen Schatten mehr. Unfähig zu weinen, wandte sie sich um und steckte das Schwert zurück in die Scheide. Stimmen erschollen in der Ferne außerhalb des Zeltes. Aeriel hob den Kopf, lauschte. Der Prinz neben ihr murmelte, regte sich. Die Stimmen klangen nun näher, deutlicher.
»Überlebende!« Die Stimme eines jungen Mannes. Sie ähnelte der ihres Bruders Roschka.
»Bei allen Wegen der Unterwelt!«, rief eine andere, die Aeriel seit längerem nicht vernommen hatte: Talb, der Magier. »Mögen es sie sein! Der Stoff des Pavillons ist zumindest ihrer.«
»Hallo! Hallo!«
Mit einem Ruck setzte sich Irrylath neben Aeriel auf. Sie griff hastig nach Ravennas Gewand, doch ihr Gemahl erfasste ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Versonnen liebkoste sie seine Wange, dann gemahnte sie sich jäh, dass er nicht länger ihr gehörte, und erstarrte. Weitere Stimmen hießen sie
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