Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
linken, was die Angelegenheit allerdings nur noch schlimmer machte. „Nun … nein, Ma’am. Ich hatte keinen Hunger.“
Miss Opal schüttelte missbilligend den Kopf; es war die kritischste Reaktion, deren sie fähig war. Becky Lynn war der Meinung, dass es in Bend wohl keinen Menschen gab, der ein größeres Herz besaß als die Friseurmeisterin, über die allerhand wilde Gerüchte in Umlauf waren. Angeblich war sie irgendwo in der Gegend von Yazoo City aufgewachsen, und man erzählte sich, dass sie vor einem brutalen Vater geflohen war, den sie mittels eines Stiletts gezwungen haben sollte, Geld herauszurücken für ihre Flucht. Becky Lynn glaubte nicht alles, was über sie herumerzählt wurde, denn Miss Opal erschien ihr viel zu gutmütig, als dass sie sich so etwas von ihr hätte vorstellen können. Und sollte es dennoch so gewesen sein, so hatte ihr Daddy diese Behandlung mit Sicherheit verdient.
„Soso. Na, dann geh doch jetzt bitte als Erstes mal rüber zum Bäcker und hol die Cremetörtchen, die Marianne Abernathy so gern isst.“ Miss Opal schnalzte mit der Zunge. „Sie ist heute unsere erste Kundin, und seit Doc Tyson sie auf Diät gesetzt hat, zählt Ed jeden Bissen nach, den sie isst. Solange das noch so geht, wird sie sich vermutlich einmal in der Woche bei uns das Haar machen lassen, wenn’s hier ihre Lieblingstörtchen gibt.“
Sie ging zur Kasse, nahm einen Fünf-Dollar-Schein heraus und hielt ihn Becky Lynn hin. „Hier. Und bring auch ein paar Doughnuts mit Erdbeermarmelade mit.“
„Ja, Ma’am.“ Becky Lynn blieb noch einen Moment zögernd an der Tür stehen und dachte voller Angst an Tommy und seine Freunde. Sie biss sich auf die Unterlippe und kramte verzweifelt nach einer Ausrede, die ihren Gang zum Bäcker zumindest noch etwas hinausschieben könnte.
Wieder blickte Miss Opal sie forschend an. „Bist du sicher, dass mit dir alles in Ordnung ist, Mädchen? Falls du etwas auf dem Herzen hast, kannst du jederzeit damit zu mir kommen, ist das klar?“
Becky Lynn starrte die ältere Frau einen Augenblick an. Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Konnte sie sich Miss Opal anvertrauen? Was würde sie wohl sagen, wenn sie ihr erzählen würde, auf welche Weise Tommy und seine Freunde sie gedemütigt hatten? Würde sie ihr glauben? Bestimmt, dachte sie. Ganz bestimmt würde Miss Opal ihre Worte nicht anzweifeln.
Sie sehnte sich so sehr danach, sich jemandem anzuvertrauen, dass ihr die Worte schon auf der Zunge lagen. Sie lechzte förmlich nach Trost und der Versicherung, dass alles gut werden würde, dass Tommy und seine Gang sie in Zukunft nicht mehr belästigen würden. Und dass sie bestraft werden würden für das, was sie ihr angetan hatten.
Richtig. Und über den Marktplatz fliegen lila Schweine. Becky Lynn ballte die Hände zu Fäusten, wobei sie den Geldschein zerknüllte. Und selbst wenn Miss Opal ihr glaubte, würde sich dennoch nichts ändern. Jungen wie Tommy und Ricky, die aus ehrbaren Elternhäusern stammten, waren unanangreifbar – und ganz besonders dann, wenn jemand wie sie, Becky Lynn, zum Opfer ihrer gemeinen Attacken wurde. So war das eben in Bend, Mississippi. Damit musste man sich abfinden.
Sie schluckte den Kloß hinunter und schüttelte den Kopf. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Ma’am. Aber mit mir ist wirklich alles in Ordnung. Ich habe nur eben überlegt … war die Post heute schon da?“
Miss Opal atmete erleichtert auf. „Becky Lynn Lee, du weißt ebenso gut wie ich, dass die Post immer erst gegen Mittag kommt. Also los jetzt, beeil dich und hol die Törtchen.“
Und wie sich Becky Lynn beeilte. In Rekordzeit war sie wieder zurück.
Tommy Fischers Jeep hatte sie glücklicherweise nirgends entdecken können. Mittlerweile waren auch Fayrene und Dixie, die beiden anderen Friseurinnen – Haarstylistinnen, wie sie sich titulierten –, eingetroffen. Fayrenne hatte sich in eine Duftwolke von Chanel No.5 gehüllt, das ihr ihr Freund vor einer Woche zum Geburtstag geschenkt hatte.
Der Vormittag ging mit dem üblichen Getratsche vorüber. Becky Lynn ließ alles, was die Kundinnen erzählten, stumm über sich ergehen und hörte einfach nur zu. Die heruntergekommene Janelle Peters ging schon wieder fremd, Julie Carter hatte sich einem Collegeprofessor in Cleveland an den Hals geworfen, und diese schlimmen Birch-Jungen (weißer Abschaum) fingen jetzt auch noch an, Marihuana zu rauchen.
Sie ließ die Frauen reden, während sie immer mit halbem Ohr bei der
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