Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
Geruch. Manchmal wachte sie nachts auf und glaubte, daran ersticken zu müssen. Er drang in alles ein, in ihre Kleider, die Polster der Möbel, das Bettzeug, in die Haut ihres Vaters.
In mein Leben.
An eine Zeit ohne Whiskeygestank konnte sich Becky Lynn gar nicht mehr erinnern.
Bis zu diesem Moment war es ihr gelungen zu verdrängen, dass heute Freitag war. Der Tag, an dem ihr Vater seinen Lohn ausgezahlt bekam. Der Tag, an dem er sich regelmäßig abfüllte. Jim Beam. Jeden Freitag brachte er sich eine Flasche mit, die er unterwegs bereits zu einem Fünftel leer machte. Der Rest kam später zu Hause dran. Er soff so lange, bis sie leer war. Oder bis er umkippte. An den übrigen Wochentagen musste er sein Geld einteilen und konnte nur so viel trinken, wie er sich leisten konnte. Am Donnerstag war seine Barschaft meistens alle, und dann ging er sofort nach der Arbeit ins Bett. Becky Lynn sehnte sich die Donnerstage fast so sehr herbei wie den Postboten mit den neuesten Modemagazinen. Fast.
Durch die Fliegengittertür, deren Maschendraht Löcher hatte, hörte sie die Schlusstakte der Musik von „Familienduell“. Warum ihr Vater diese Sendung so liebte, war ihr schleierhaft. Weder lachte er jemals über irgendetwas, was darin passierte, noch machte er sich die Mühe mitzuraten. Er starrte nur unausgesetzt auf den Bildschirm und gab ab und zu ein Grunzen von sich. Und trank. Und trank.
In der stillen Hoffnung, unbemerkt an ihm vorbeizukommen, öffnete sie leise die Tür und schlüpfte hinein. Sie wusste genau, wie sie verhindern konnte, dass die Tür quietschte, und kannte exakt die Stelle, wo sie über den Boden schleifen würde, wenn man sie nicht leicht anhob.
Becky Lynn hielt den Atem an. Er saß im Wohnzimmer mit dem Rücken zu ihr vor dem Fernseher. Sie presste sich gegen die Wand und tastete sich langsam auf Zehenspitzen bis zur Küche vor. Wenn sie Glück hatte, würde sie heute Abend seinem Zorn entgehen. Wenn sie Glück hatte, würde sie an ihm vorbeikommen und …
„Wohin willst du denn, Mädchen?“
Becky Lynn blieb stehen. Sein schleppender Tonfall sagte ihr, was los war. Ihr drehte sich der Magen fast um. Soviel zum Punkt Glück.
Sie wandte sich zu ihm um und zwang sich zu einem winzigen, steifen Lächeln. „Nirgends, Daddy. Ich dachte nur, ich schau mal nach, ob Mama in der Küche Hilfe braucht.“
Er grunzte unwirsch und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. Als er auf ihren Schoß starrte, spürte sie, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten. „Wieder rumgetrieben oder was?“
„Nein, Daddy.“ Sie schüttelte den Kopf. „Überstunden. Wir hatten heute viel zu tun – wie immer am Freitag.“
„Was hast’n da?“
Sie umklammerte die Magazine fester. „Nichts, Daddy.“
„Sag nicht ‚nichts‘, Mädchen!“ Wütend sprang er aus dem Sessel auf, machte einen Satz auf sie zu und entriss ihr die Modezeitschriften. Um ihre Bestürzung zu verbergen, biss sie sich fest auf die Lippen. Aus Erfahrung wusste sie, dass es am besten war, wenn sie sich so stillschweigend wie möglich in ihr Schicksal ergab.
Er starrte einen Augenblick mit halb offenem Mund auf die Magazine. In seinen Mundwinkeln zerplatzten kleine Speichelbläschen. Dann begann er zu fluchen, riss den Arm hoch, wobei er einen Moment lang das Gleichgewicht zu verlieren drohte, und feuerte die Zeitschriften in die Ecke. Becky Lynn zuckte zusammen, als sie gegen die Wand knallten. „Verdammt noch mal, wie oft soll ich dir eigentlich noch sagen, dass du diesen Dreck nicht lesen sollst? Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht dein Geld für …“
„Hab ich gar nicht“, unterbrach sie ihn hastig, atemlos. „Die sind schon alt. Miss Opal hat sie mir geschenkt. Du brauchst nur auf das Datum zu schauen, wenn du mir nicht glaubst.“
„Bildest du dir ein, mir sagen zu müssen, wo’s langgeht? Glaubst du vielleicht, ich bin blöd, oder was?“ Er machte einen Schritt auf sie zu und schüttelte drohend die Fäuste.
„Nein, Daddy.“ Eingeschüchtert schüttelte Becky Lynn nachdrücklich den Kopf, wobei ihr klar wurde, dass sie wieder einmal unwissentlich eine unsichtbare Grenze überschritten hatte.
Die Tür zur Küche öffnete sich, und ihre Mutter stand auf der Schwelle, das Gesicht bleich und verhärmt, die Augen verängstigt. „Becky Lynn, Baby, komm doch bitte und hilf mir mit dem Abendbrot.“
Eine Welle von Erleichterung durchflutete Becky Lynn, und sie schaute ihre Mutter dankbar an. Da Randall Lee
Weitere Kostenlose Bücher