Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
wirklich. Ich meine, ich schau mir die Zeitschriften ja schließlich auch an, aber doch nicht so .“ Sie wandte sich wieder Becky Lynn zu, eine sorgfältig ausgezupfte Augenbraue fragend erhoben.
Die Wangen vor Verlegenheit hochrot, die Augen auf das Magazin geheftet, saß Becky Lynn da und wäre am liebsten im Boden versunken. Wie sollte sie Fayrene das Gefühl erklären, das sie beim Betrachten dieser Fotos empfand? Wie sollte sie ihre Träume, die ihr um vieles näher standen als die Realität, in Worte kleiden? Und selbst wenn es ihr gelänge, würde die andere Frau sie nicht einfach auslachen?
Ihre Hände begannen zu zittern, die Handflächen wurden feucht. Sie räusperte sich und hob den Blick. „Ich weiß nicht“, erwiderte sie leise. „Es ist einfach nur, weil die Models alle so … schön sind, so … elegant und alles. Ich schau sie mir einfach nur an und male mir aus …“
„Also wirklich, Becky Lynn“, unterbrach Fayrene sie und wedelte mit der Zigarette vor Becky Lynns Gesicht herum, „wach endlich auf! Ich meine, ich schau mir die Hefte ja auch an, und ab und zu träume ich sogar dabei, aber man kann schließlich nicht sein ganzes Leben verträumen.“ Sie schüttelte ihre wasserstoffblonde Mähne. „Ich sage immer, es ist total sinnlos zu versuchen, nach den Sternen zu greifen, weil man eh keinen zu fassen kriegt. Und falls man doch einen erwischen würde, würde man sich ganz schön die Finger dabei verbrennen, also lass ich’s lieber.“
Fayrene sah Becky Lynn triumphierend an, offensichtlich kam sie sich sehr weise und abgeklärt vor. Als Becky Lynn sich jedoch weder zustimmend noch ablehnend äußerte, sondern einfach nur schwieg, schnaubte sie ungehalten. „Mach was aus dem, was du mitbekommen hast. Du bist groß und schlank und dein Gesicht … naja … also ehrlich gesagt, den ersten Preis bei einem Schönheitswettbewerb wirst du damit nie gewinnen … ich meine … dein Mund, deine Nase und deine Augen für sich genommen sind gar nicht so schlecht … nur alles zusammen …“
Fayrene zögerte und studierte Becky Lynn so eingehend, als ob sie sie heute zum erstenmal sehen würde. Ein nachdenklicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht, dann schüttelte sie den Kopf. „Die Augen sind gut und die Zähne auch, gib mir ein paar Stunden und Wasserstoffsuperoxyd, und ich mach was aus dir, ehrlich. Du …“
„Fayrene“, Dixie steckte den Kopf durch die Tür, „Bitsys Zeituhr hat schon vor ein paar Minuten geklingelt.“
„Oh, verdammt.“ Fayrene beeilte sich hinauszukommen. Auf der Schwelle blieb sie noch einmal stehen und drehte sich nach Becky Lynn um. „Also denk darüber nach, was ich gesagt habe, Becky Lynn. Nicht jeder kann was Besonderes sein.“
Becky Lynn ließ sich gegen die Wand sinken. Fayrene hatte sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Der Bann war gebrochen. Sie schaute auf das Foto von Isabella Rossellini, das wegen der Tränen, die in ihr aufstiegen, langsam vor ihren Augen verschwamm. Fayrene irrte sich ganz gewaltig. Sicher träumte sie davon, so schön und selbstbewusst zu sein wie die Frauen in den Modezeitschriften, aber sie war schließlich nicht blöd. Natürlich bildete sie sich nicht ein, ein Top-Model werden zu können.
Sie liebte die Hochglanzmagazine nicht nur deshalb, weil darin schöne Frauen abgebildet waren. Sie liebte sie, weil sie sie, einem fliegenden Teppich gleich, aus Bend forttrugen, hinein in eine Welt, in der sich nicht irgendwelche Jungen vor Mädchen entblößten, deren Verbrechen nur darin bestand, arm und hässlich geboren worden zu sein.
Becky Lynn blieb am Ende der Schotterstraße stehen und schaute auf das kleine Haus, das vor ihr lag. Ihr Zuhause. Sie drückte die Magazine, die Miss Opal ihr geschenkt hatte, fest an die Brust. Im verblassenden Licht des Tages wirkte das Haus, einst weiß und jetzt grau, noch schäbiger als sonst. Von dem Palisadenzaun – auch er war einmal weiß gewesen – war die Farbe längst abgeblättert, und einige Latten waren herausgebrochen.
Mit schleppenden Schritten ging sie die Auffahrt hinauf. Merkwürdig, wie die Zeit raste, wenn sie bei Miss Opal im Laden war, und wie langsam sie im Gegensatz dazu verging, wenn sie zu Hause war. Zeit hat das anscheinend so an sich, dachte sie. Wenn man unglücklich ist, bleibt sie einfach stehen.
Sobald Becky Lynn einen Fuß auf die Veranda, die sich langsam abzusenken begann, setzte, schlug ihr Whiskeydunst entgegen. Sie hasste diesen süßsauren
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