Gefangene Seele
rote Spur bis zum Handgelenk. Obwohl er sich Mühe gegeben hatte, sie gut zu versorgen, hatten sich die Wunden entzündet. Er hatte gehört, dass sich unter Fingernägeln eine Menge Bakterien befänden. Offensichtlich traf das zu.
“Dieser blöde Idiot”, schimpfte Johnny leise, als er in Mabels Medizinschränkchen nach einem stärkeren Desinfektionsmittel als Alkohol suchte. Er hatte schon alles verbraucht. Er fand eine Tube mit antiseptischer Creme, deren Verfallsdatum schon abgelaufen war.
1992? Scheiße.
Da er keine andere Wahl hatte, kippte er den Rest eines Fläschchens Alkohol auf die pochenden Wunden und schmiss die Flasche dann in den Müll. Er schaute auf die Uhr. Es blieben nur noch wenige Stunden, bis es dunkel wurde, das wäre der Zeitpunkt, an dem er zuschlagen würde, hatte er beschlossen. Vorsichtig spähte er durch den Vorhang des Badezimmerfensters auf das Haus gegenüber. Die Posten standen noch Wache. Er verzog das Gesicht. Es war zu spät, sich noch etwas anderes zu überlegen, aber wenn er die Gelegenheit gehabt hätte, hätte er die Frau flachgelegt und dann den Typen getötet, bevor er die Stadt verließ.
Da er sich vergangene Fehler nie zu Herzen nahm, zog er sich vom Fenster zurück, im guten Glauben, noch seine Arbeit erledigen zu können. Außerdem hatte er nun auch noch die Gelegenheit, einhunderttausend Dollar extra zu verdienen, indem er noch einen Mann umlegte, nachdem er diesen Job hier erledigt hatte. Sobald es dunkel wurde, wollte er dem Haus gegenüber einen kleinen Besuch abstatten und dann direkt nach Los Angeles fahren. Aber Johnny würde den Job in L.A. nicht eher angehen, bevor er das Geld nicht sicher auf der Bank hätte. Nein, Sir. Johnny Newtons Vater mochte vielleicht ein Narr gewesen sein, aber sein Sohn war keiner.
Er strich durch das zweite Stockwerk des Hauses und schaute in die ein oder andere Schublade oder in Schränke. Weniger um zu stehlen als aus Langeweile. Einige Minuten später hörte er, wie gegenüber ein Fahrzeug angelassen wurde. Er eilte zum Fenster, nahm sein Fernglas und schaute neugierig durch die Linsen, wer hinter dem Steuer saß.
Es war ein junger Mann. Johnny zuckte mit den Schultern, als ihm dämmerte, dass er das Gesicht schon einmal gesehen hatte. Es war der Junge, der Mabels Rasen gemäht hatte. Johnny fokussierte das Fernglas auf das Gesicht. Er sah seltsam aus, die Augen weit aufgerissen und die Kinnlade heruntergeklappt.
“Was zum Teufel …”, murmelte Johnny und schaute mit dem Fernglas ein wenig nach links. “Sein Rasenmäher? Warum nimmt er den nicht mit?”
Einige Sekunden später kam ein schlanker dunkelhaariger Mann aus dem Haus und ging über die Ausfahrt auf die Straße. Dann sprach er mit einer der Wachen. Johnny runzelte die Stirn. Da ging irgendetwas vor sich. Das spürte er.
Der Mann blieb bei der Wache an der Straße stehen, dann verabschiedete er sich plötzlich. Johnny sah, wie der Mann zur Rückseite des Hauses ging, aber nicht wiederkam. Schließlich redete er sich ein, dass das, was er gerade gesehen hatte, nichts zu bedeuten hatte. Er legte das Fernglas ab und dachte darüber nach, ob er einen Pizzadienst anrufen sollte. Er hatte schon den ganzen Tag an Pizza gedacht. Dagegen sprach, dass Mabel wahrscheinlich noch nie eine Pizza nach Hause bestellt hatte, und Johnny wollte keine unnötige Aufmerksamkeit erregen. Er fluchte über diese Situation und ging die Treppen hinunter, um noch einmal Mabels Küche nach Essbarem zu durchsuchen.
Die Nackenhaare standen Luke immer noch hoch, sogar als er schon um die Ecke von Sams Haus gegangen war. Er konnte es nicht beweisen, aber er hätte schwören können, dass Johnny Newton ihn durch ein Fenster in Mabels Haus hindurch beobachtet hatte. Er spürte, wie es in seinem Magen rumorte, wenn er nur daran dachte, was der armen Mabel widerfahren war. Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass Johnny Newton nicht der Typ war, der Geiseln nahm.
Zügig erklärte er den Wachen auf der Rückseite des Hauses, dass die Polizei gleich ankommen würde, und ermahnte sie, aus der Schusslinie zu bleiben. Sie waren allein zum Schutz der Cochranes bestimmt, zu nichts anderem. Sobald sie informiert waren, schlüpfte Luke durch die rückwärtige Gartentür und rannte die kleine Seitenstraße hinab. Wenn er Glück hatte, konnte er die Rückseite von Mabels Haus erreichen, bevor die Polizei da war. So konnte er vielleicht Newton aufhalten, falls er davon Wind bekommen sollte, bevor die
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