Gefangene Seele
du hin?”, fragte Sam.
“Ich muss meinen Männern Bescheid sagen, was gerade passiert. Es gibt keinen Anlass anzunehmen, dass Newton weiß, dass er dran ist. Wir sind in Sicherheit … zumindest solange, wie die Polizei noch nicht da ist. Oh … Sam … hast du immer noch deine Pistole?”
“Ja.”
“Gut. Ich habe meine zu Hause. Ich hatte ja keine Ahnung, dass das passieren würde, sonst wäre ich besser vorbereitet gewesen.”
“Warte hier”, sagte Sam, “ich hole sie.”
Er war nach kurzer Zeit zurück und gab Luke die Waffe sowie eine Schachtel mit Patronen.
Luke lud die Pistole im Stehen, dann schob er sie in seinen Hosenbund am Rücken und füllte sich eine Handvoll Munition in die Hosentasche, während er zur Tür ging.
Sam spürte, wie übel ihm plötzlich war. “Lieber Gott, wie konnte es dazu nur kommen?”
Luke hielt inne, während er schon nach der Klinke griff. Was er sagen wollte, ging über die Grenzen einer Freundschaft klar hinaus, aber er musste es aussprechen, ob es Sam nun gefiel oder nicht.
“Es konnte dazu kommen, weil deine Frau vor zwanzig Jahren ihr Eheversprechen gebrochen und euer Kind entführt hat. So ist es gekommen.”
In Sams rechter Schläfe zuckte ein Muskel. Mehr Reaktion zeigte er nicht. Luke konnte nicht sagen, ob es ihm galt oder Sams verstorbener Frau. Dann sprach Sam: “Ich habe mein Mobiltelefon dabei. Ruf mich an, wenn wir etwas tun sollen, sonst bleiben wir einfach im Haus.”
“Das mache ich.”
“Eh … Luke?”
“Was?”
“Danke, dass du dich um uns kümmerst.”
Luke zuckte mit der Schulter. “Ich habe keine andere Wahl. Wenn mir etwas passieren sollte, dann …”
“Dann kümmere ich mich um sie … für dich mit.”
Luke starrte Sam eine Weile an, dann lächelte er. Dann war er verschwunden.
Sam ging zur Treppe, hielt aber an der ersten Stufe inne. Seine Finger umschlossen den Handlauf, als müsse er Kraft für den Aufstieg sammeln. Seine Schultern sackten nach unten, sein Kinn lag auf seiner Brust.
“Oh Margaret, Margaret, weißt du eigentlich, was du mir angetan hast?”
Dann hörte er, dass Jade aus ihrem Zimmer rief. Er hob den Kopf und biss die Zähne zusammen. Die Zeit, sich über Tote Gedanken zu machen, war vorüber. Es war an der Zeit, sich um die Lebenden zu kümmern.
“Ich komme, meine Süße.”
Otis Jacks nahm die letzten Antibiotika aus der Packung und zwinkerte sich im Spiegel zu. In dreißig Minuten musste er los, um rechtzeitig beim Zahnarzt zu sein. Er kam für solche Termine nie zu früh, denn er hasste es, warten zu müssen. Wenn er heute Abend nach Hause kommen würde, würde der tote Zahn schon gezogen sein. Danach war es ihm gleichgültig, mit welcher Ausrede der Gesichtschirurg ihn hinhalten würde. Otis wollte bis Ende der Woche ein neues Gesicht haben, sonst würde er dem Arzt einen Anlass geben, bei sich selbst die erste OP durchzuführen.
Sobald er reisefähig war, wollte er in ein Land fahren, dass mit den USA kein Auslieferungsabkommen hatte.
Otis schaltete den Fernseher an und begann aus alter Gewohnheit, zwischen den Kanälen hin und her zu schalten. Seltsamerweise fiel ihm ein Textband auf, das unter dem Bild von CNN zu sehen war. Das war interessanter als die Krise im Nahen Osten.
“
Mann und Krankenschwester in einem Krankenhaus in St. Louis ermordet. Behörden gehen von einer direkten Verbindung mit der Rückkehr der entführten Tochter von Geschäftsmann Cochrane aus.”
Otis Kinnlade fiel herunter. Dann sprang er auf. Jemand – wahrscheinlich der Idiot, der ihn angerufen hatte – hatte alles verdorben. Nun konnte er nichts anderes mehr tun, als sich ruhig zu verhalten. Aber zur Hölle, nein! Was dieser Mensch getan hatte, war unglaublich. Er hatte sämtliche Leichen aus dem Keller geholt.
Plötzlich war es nicht mehr so wichtig, sich ein neues Gesicht verpassen zu lassen. Er musste verschwinden, solange es noch ging. Er holte sein Mobiltelefon aus der Tasche und wählte schnell die Nummer.
“Françoise … ich bin’s, Jack. Sind meine Papiere fertig?”
“Noch nicht ganz. Sie haben doch gesagt …”
“Manchmal kommt etwas dazwischen. Ich brauche sie morgen früh”, gab Otis zurück. “Machen Sie sie jetzt fertig. Es wird sich für Sie lohnen.”
Er legte auf, schnappte sich seine Schlüssel und ging aus der Wohnung. Schließlich war er doch zu früh bei seinem Zahnarzt.
Johnny Newtons Hand ging es nicht so gut. Die Wunden waren rot und angeschwollen, von einer lief eine
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