Gefangene Seele
fertig.”
Sie drehten sich um und sahen, wie Amy Ann aus ihrem Zimmer auf den Flur hinausrannte. Sie zog ihren Rucksack an einem Träger hinter sich her. Der ordentliche winzige Pferdeschwanz, den ihr Jade am Morgen gemacht hatte, löste sich schon auf und rutschte auf die eine Seite des kleinen Kopfes.
Jade sah ihr erschrocken nach.
“Sie sieht vielleicht wie ihre Mommy aus, aber sie ist Daddys kleines Mädchen, ganz und gar”, sagte Luke und brach dann in Gelächter aus.
“Warte”, sagte Jade, “wir müssen dir die Haare ordentlich machen.”
Amy Ann verzog das Gesicht und zog an ihrem Pferdeschwanz. Sie wollte sich nicht noch einmal die Haare bürsten lassen.
“Du hast mir doch schon einen Zopf gemacht.”
“Ja, und du hast ihn wieder ‘rausgemacht”, antwortete Jade und band Amy Ann die Haare wieder zu einem neuen Pferdeschwanz zusammen, während Luke hinausging, um den Wagen zu holen.
Amy Ann runzelte die Stirn und blies die Wangen auf, als Jade die Bürste beiseitelegte.
“Können wir jetzt los?”
“Ja, jetzt können wir los.” Dann streckte Jade ihre Hand aus, und gemeinsam eilten sie die Treppen hinunter.
“Tschüss, tschüss Opa!”, rief Amy Ann.
Sam kam aus seinem Arbeitszimmer heraus, um seiner Enkelin einen dicken Kuss zu geben.
“Toll siehst du aus”, sagte er. “Viel Spaß heute.”
“Oh ja, den werde ich haben”, antwortete sie.
“Du wirst dich wie ein großes Mädchen benehmen, nicht wahr?”, fragte Sam.
Denn zuvor hatten sie darüber gesprochen, dass Amy Ann nicht weinen dürfe, wenn Mommy nicht mit in das Klassenzimmer käme.
“Oh ja, außerdem bin ich ja nicht allein.”
Jade runzelte die Stirn. “Ich komme nur bis zur Klassentür mit, Liebes. Du weißt, dass ich nicht mit hineinkomme.”
“Oh, das weiß ich”, sagte Amy Ann. “Ich meinte ja auch nicht dich.”
“Wen meinst du dann?”, fragte Jade.
“Mein Freund wird da sein.”
Luke hupte in diesem Augenblick.
“Daddy!”, quietschte Amy Ann. “Beeil dich, Mommy! Wir kommen zu spät!”
Jade lächelte ihren Vater an und zuckte mit den Schultern. Dann folgte sie Amy Ann hinaus.
Kurze Zeit später gingen Jade und Luke gemeinsam mit einigen anderen Eltern den langen Gang zum Klassenzimmer hinunter.
“Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit sein würde”, sagte eine erschöpfte Mutter, als sie ihrem vierten und jüngsten Kind zuwinkte.
“Halleluja.”
Luke lachte in sich hinein, Jade runzelte die Stirn.
“Ganz ruhig, Süße”, sagte Luke. “Offensichtlich hat sie das schon häufiger als wir durchgemacht.”
Jade zuckte mit den Schultern und erschrak, als Amy Ann plötzlich ihre Hand losließ, in den Klassenraum rannte und sie zurückließ.
“Amy Ann! Warte!”
“Ist schon gut”, sagte Luke. “Lass sie. Ich bin froh, dass sie nicht so weint wie er.”
Er deutete auf einen kleinen blonden Jungen, der sich am Bein seiner Mutter festklammerte und weinte.
“Du hast wieder mal recht”, gab Jade zurück und grinste. “Das wird ja zur Gewohnheit.”
“Hey Kelly! Mit dir habe ich hier ja nicht gerechnet”, rief ein Mann aus.
Luke drehte sich um und erkannte einen seiner Kunden. “Süße, ich gehe kurz hin, um ihn zu begrüßen.”
“Klar”, sagte sie. Obwohl sie wusste, dass es ihrer Tochter gut ging, musste sie sich davon mit eigenen Augen überzeugen.
Sie ging zur Klassentür und spähte hinein. Amy Ann saß schon an einem Tisch im hinteren Teil des Zimmers und spielte selbstvergessen mit zwei anderen Kindern. Jade nahm an, dass eines von beiden der Freund war, von dem Amy Ann gesprochen hatte, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, sie jemals gesehen zu haben oder woher Amy Ann sie kennen mochte.
Jade stand noch eine Weile im Türrahmen und beobachtete, wie ihre Tochter mit den anderen Kindern umging, und wie die Kleine versuchte, diejenigen zu trösten, die traurig waren.
Sie seufzte und versuchte den Schmerz zu ignorieren, der sich in ihrem Herzen ausbreitete, weil Amy Ann nicht geweint hatte, als sie Jade verlassen musste. Aber Luke hatte recht. Es war gut, dass ihr Kind unabhängig war und keine Angst hatte.
Die Lehrerin sah auf, lächelte sie an und winkte, sodass Jade ihr zurückwinkte. Als sie sich umdrehte, um zu gehen, sah sie ihn – er stand in der Ecke des Klassenzimmers, wo Amy Ann spielte …
Raphael.
Als Jade seinen Namen dachte, sah er sie an. Sie dachte, er bewege seine Lippen, dann glaubte sie, ihn lächeln zu sehen. Sie hob ihre Hand,
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