Gefangene Seele
und klappte den Block zu und legte ihn beiseite.
“Raphael?”
Er richtete sich vom Kopfkissen auf, als habe er auf dieses Stichwort gewartet. Ohne ein Wort hob er die Decke an.
Jade stolperte an Luke vorbei und ließ sich in Raphaels Arme fallen. Er deckte sie zu und schloss sie in seine Arme. Als sie die Augen zumachte, schmiegte er sein Gesicht an ihren Hinterkopf. Jade seufzte.
Luke zitterte, als er sich endlich wieder hinlegte. Der Ventilator, der am Fenster angebracht war, blies ihm kühle Luft ins Gesicht, als er sich die Decke überzog und die Augen schloss. Als er darauf wartete, dass ihn der Schlaf übermannte, erinnerte er sich an den Zeichenblock und setzte sich abrupt auf. Er war neugierig und wollte sehen, was Jade gezeichnet hatte. Auf der anderen Seite hatte er Angst, sie würden ihn dabei erwischen und denken, er schnüffele herum.
Dennoch konnte er an nichts anderes denken, als herauszufinden, wie das Gesicht desjenigen Menschen aussah, der ihr solchen Schmerz zufügen konnte, dass sie Albträume davon bekam.
Er setzte sich auf die Bettkante und stand dann auf. Er wollte nicht auf das Nachbarbett schauen. Er konnte sie nicht ansehen, ohne dass ihm immer wieder bewusst wurde, dass er der Außenseiter in dieser Konstellation war. Die beiden waren einander so nah, so etwas hatte er selten gesehen. Sich so nahezustehen und dennoch nur eine platonische Beziehung zu haben, erschien ihm unmöglich, aber auf der anderen Seite ging es ihn auch nichts an.
Ruhig ging er zu dem Stuhl herüber, auf dem Jade gesessen hatte, und nahm den Block zur Hand. Dann ging er damit ins Badezimmer. Aber das winzige Licht über dem Waschbecken reichte nicht aus, um sehen zu können, was sie gezeichnet hatte, also schloss er die Tür hinter sich und machte das Deckenlicht an.
Erst dann fiel Luke auf, wie talentiert Jade Cochrane war. Das Gesicht auf dem Papier war so naturgetreu gezeichnet, dass Luke meinte, die abgebildete Person würde gleich anfangen zu sprechen. Die Haare des Mannes waren vor dem Hintergrund seines Kopfes so natürlich getroffen, dass er sich zu bewegen schien. Die Augen wirkten so wirklichkeitsnah, dass Luke zweimal hinsehen musste, um sich davon zu überzeugen, dass sie sich nicht bewegten. Es war das Gesicht eines durchschnittlichen Mannes, ohne Beschönigung oder Kunstgriffe, und dennoch wusste Luke auf den ersten Blick, dass dieser Mann ein böser Mensch war.
“Was hast du ihr angetan, dass sie jetzt weinen muss? Aus welchem Winkel der Hölle bist du gekrochen, sodass sie jetzt so zerstört ist?”
Aber Luke bekam von dem Gesicht keine Antwort. Es gab ihm nur noch weitere Fragen auf, auf die er keine Antwort wusste. Je länger er Jade und Raphael kannte, desto rätselhafter wurden sie für ihn.
Widerwillig schaltete er das Deckenlicht im Badezimmer aus, platzierte den Block zurück auf den Stuhl und legte sich wieder ins Bett. Er schloss die Augen, obwohl er überzeugt war, dass er nicht würde einschlafen können. Als er sie wieder öffnete, war es heller Morgen.
“Nein, nein, Baby … so geht das nicht! Komm ein wenig näher. Gut so. Nun lehn dich ein wenig mehr vor … okay, das ist perfekt! Und jetzt, Mario, nimm ihre Brust in deinen Mund und halt sie an der Hüfte fest.” Otis Jacks drehte sich um und wandte sich an den Maskenbildner. “Ving! Sprüh sie ein, sodass sie einen leichten Film auf der Haut haben. Es soll aussehen, als hätten sie schon stundenlang gefickt.”
Ein kleiner Asiate kam mit einer Sprühflasche mit einer Öl-Wasser-Mischung und sprühte die Lösung auf die nackten Körper der Schauspieler.
Otis kniff die Augen zusammen, um die Perspektive besser einschätzen zu können, und stellte sich dann hinter die Kamera. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah, denn er lächelte, als er hinter der Kamera wieder hervorkam.
“Ja, genau so. Und jetzt mal los, Leute, wir wollen den Film hier irgendwann noch einmal fertig kriegen.”
Das nackte Pärchen begann sich zu winden und umschlang sich in falscher Ekstase. Abwechselnd stöhnten die beiden Akteure, während die Kameras liefen.
Derweil schenkte sich Otis ein neues Getränk ein, tat ein paar Eiswürfel hinein und setzte sich wieder auf seinen Regisseur-Stuhl, bis die Szene abgedreht war. Genau in dem Moment, als die Frau ihr Kreuz durchdrückte, um einen Orgasmus vorzutäuschen, nahm er einen ordentlichen Schluck und deutete dann auf den Mann.
“Okay, Hengst, sie ist heiß. Sie ist feucht. Sie will dich. Sieh
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