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Gefangene Seele

Gefangene Seele

Titel: Gefangene Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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ihn wortlos an.
    “Ja, natürlich, warum nicht?”, antwortete Luke und lächelte erst Jade, dann Raphael an.
    Es war fast Mitternacht, und Luke versuchte zu schlafen, aber es gelang ihm nicht, obwohl es nicht an Raphaels leisem unregelmäßigen Schnarchen lag. Er konnte nicht schlafen wegen der Frau, die in Raphaels Armen lag.
    Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen, denn ihr schwarzes Haar verbarg es. Sie schlief mit dem Rücken zu Raphael und hatte seinen Arm dicht an sich herangezogen wie ein kleines Kind, dass im Schlaf seine Kuscheldecke festhält. Vom Parkplatz fiel genug Licht herein, sodass Luke sehen konnte, dass sie träumte. Ihre Finger ballten sich zur Faust und entspannten sich wieder, als wolle sie etwas festhalten. Hin und wieder zuckte sie mit dem Bein, und ihre Füße bewegten sich, als sei sie kurz davor, loszurennen.
    Luke versuchte sich vorzustellen, was die beiden alles durchgemacht haben mussten, als sie so lange auf der Straße gelebt hatten. Einerseits wollte er die Wahrheit erfahren – um ihnen helfen zu können. Andererseits war ihm die Möglichkeit bewusst, dass er ihnen nie würde helfen können – auf keinen Fall.
    Plötzlich gab es ein lautes Geräusch an ihrer Tür, dann hörte er eine Frau kichern und einen Mann leise auf sie einreden. Als dies geschah, schrie Jade laut auf. Bevor Luke reagieren konnte, hob sie die Arme in die Höhe, als wolle sie einen Feind abwehren, während ihr ganzer Körper in eine Schutzhaltung ging.
    “Das Licht, das Licht!”, rief Raphael. “Mach das Licht an!”
    Mit Herzklopfen langte Luke nach dem Lichtschalter und tauchte den Raum in ein sanftes gelbes Licht.
    “Jade … Süße, wach auf! Du träumst schlecht. Es ist nur ein Traum. Wach auf.”
    Ihre Augenlider bewegten sich, dann entspannte sie sich in Raphaels Armen.
    Raphael rollten Tränen über die Wangen, als er Jade dichter an sich heranzog.
    “Oh, Rafie … hört das denn nie auf? Warum gehen die Albträume bloß immer weiter?”
    “Vielleicht, weil du noch nicht alle Gesichter gezeichnet hast?”, sagte er leise in ihr Ohr. “Möchtest du sein Gesicht zeichnen?”
    Sie war einen Augenblick lang still, dann nickte sie und stand auf. Ohne Luke anzusehen, suchte sie in ihrer Tasche nach einem großen Zeichenblock und nach einem Bleistift.
    “Möchtest du, dass ich mich neben dich setze, während du malst?”, fragte Raphael.
    Sie sah ihn an, als würde sie ihn zum ersten Mal betrachten. Er war bleich und ausgemergelt. Außerdem war er zu dünn für seine Größe. Jade drückte den Block gegen ihre Brust und ging einen Schritt auf ihn zu.
    “Rafie?”
    “Was ist denn, Baby?”
    Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie fühlte jeden einzelnen Schlag. Sie fürchtete sich zwar vor seiner Antwort, aber sie musste ihm diese Frage stellen.
    “Was hast du?”
    Währenddessen versuchte Luke zu begreifen, was in dem Raum vor sich ging, und hielt den Atem an. Wie Jade war er gespannt, was Raphael ihr antworten würde.
    Aber der junge Mann schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Zeichenblock.
    “Zeichne das Gesicht, Baby. Zeichne sein Gesicht, dann wird er aus deinen Träumen verschwinden.”
    Sie wollte auf eine Antwort beharren, aber dann hatte sie Angst, ihn zu sehr unter Druck zu setzen. Ihr fiel ein, dass sie vielleicht auch gar nicht die Wahrheit ertragen könnte. Vielleicht wollte sie sie einfach nicht hören. Sie konzentrierte sich wieder auf den Zeichenblock, nahm den Bleistiftstummel zur Hand und begann, das Gesicht des Mannes zu zeichnen, der sie in ihrem Traum verfolgt hatte.
    Sie hatte sich im Schneidersitz auf einen Stuhl gesetzt. Sie legte den Block auf ihren Schoß und blätterte ihn auf. Als sie zu zeichnen begann, zitterte sie stark, aber nach den ersten Bleistiftstrichen wurde sie ruhiger und nahm sonst nichts mehr um sich herum wahr außer der Gestalt, die vor ihr auf dem Papier erschien.
    Luke setzte sich auf seinem Bett auf und beobachtete sie dabei, wie sie mit sehr konzentriertem Gesicht und aggressiven Strichen ein Gesicht zeichnete. Sie schien sehr wütend zu sein, so wie sie das Papier bearbeitete.
    Eine Stunde nach der anderen verging. Immer, wenn sich Luke sicher war, dass sie nun endlich eine Pause von ihrer konzentrierten Tätigkeit einlegen würde, nahm sie ein neues Blatt. Erst als Luke dachte, sie würde vor Erschöpfung zusammenbrechen, hielt sie inne. Sie nahm den Stift vom Papier, als müsse sie sich von etwas Widerlichem, das auf dem Papier war, zurückziehen

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