Gefangene Seele
zu, dass du fertig wirst, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.”
Der Mann in der Rolle des feurigen Liebhabers hob die Frau von der Matratze hoch und drückte sie gegen die Wand, wo er seine begonnene Arbeit zu Ende führte.
“Danke! Schnitt!”, rief Otis, kippte den Rest seines Drinks hinunter und stand auf. “Wir machen Schluss. In dreißig Minuten habe ich noch einen Termin!”
Der Schauspieler ließ die Frau auf die Matratze hinuntergleiten und gab ihr mit der flachen Hand einen Klaps auf den Po, bevor er nackt in seine Garderobe ging. Die Schauspielerin zog sich einen Bademantel an, aus dessen Tasche sie ein Mobiltelefon zog. Wie Otis Jacks hatte auch sie gleich frei und plante ihren Feierabend.
An der Tür drehte sich Otis noch einmal um und rief nach seinem Bühnenmanager. “He, Tiny, guck nach, ob alles abgeschlossen ist.” Dann ging er hinaus.
Mit dreiundsechzig Jahren befand sich Otis in seinem “dritten Leben”, wie er es nannte. Er war als Nigel Bates in Concord, New Hampshire, geboren worden und hatte diesen Namen behalten, bis er dreißig wurde. Es geschah in einer Ostersonntagmesse, dass ihm aufging, dass das Leben mehr zu bieten haben musste, als in Detroit Radios und Fernsehgeräte zu verkaufen. Am nächsten Morgen gab er seiner Frau und seinen beiden Kindern einen Abschiedskuss und ging wie immer zur Arbeit. Nur etwas war anders an diesem Montag als an den anderen Montagen in Nigel Bates’ Leben: Er kam einfach nicht nach Hause.
Er hob alles Geld ab, das sich auf seinem Konto befand, dabei war es ihm egal, was mit seiner Familie geschah, tankte seinen Volkswagen voll und fuhr los in Richtung San Francisco. Sechs Monate später reichten ihm die Haare bis auf die Schultern, und er trug Jacken aus Wasserbüffelleder und bunte Ketten. Er nannte sich Solomon. Diese Phase seines Lebens dauerte lange genug, um zahllose Familien und Leben zu zerstören, bis er eines Tages nervös wurde. Jemand verpetzte die People of Joy bei der Fürsorge des Staates Iowa. Man warf ihnen vor, dass die Kinder, die bei ihnen lebten, nie eine Schule von innen sahen. An einem regnerischen Montagmorgen packte er gegen zehn Uhr seine Sachen und fuhr los, ohne sich von seinen Jüngern zu verabschieden. Auf Freunde hatte er noch nie Wert gelegt, und es war ihm gleichgültig, dass er sie mit den Ruinen dessen zurückließ, was er erschaffen hatte.
Noch einmal fuhr er gen Westen. Er hatte einen Plan, in Hollywood durchzustarten, und er hatte auch das nötige Kleingeld dazu.
Er ließ sich die langen Haare schneiden, kaufte ein halbes Dutzend gut sitzende Anzüge, tauschte den alten Volkswagen gegen ein schwarzes Corvette-Cabrio und mietete unter dem Namen Otis Jacks eine Villa in den Hügeln am Rand von Los Angeles.
Innerhalb der ersten drei Monate hatte er seinen ersten Pornofilm produziert und war kurz davor, für den zweiten die Schauspieler zusammenzustellen. Sieben Jahre später war er der ungekrönte König von Spielfilmen, die nicht jugendfrei waren.
Als er also durch den Bühneneingang schritt, ahnte er nichts Böses. Er würde seinen Verleger treffen und abends essen gehen. Als er den Wagen aufschloss und sich ans Steuer setzte, träumte er von Hummer und einer guten Flasche Cabernet.
“Scheiße”, fluchte er, als sich das heiße Leder des Sitzes gegen seine Hosenbeine drückte.
Er startete den Motor und schaltete sofort die Lüftung auf die höchste Stufe, danach drehte er das Radio an. Seine Lieblingssendung lief gerade. Der Discjockey tat so, als sei er ein zweiter Howard Stern. Seine Sprache war so obszön, das sie gerade noch von der Zensur geduldet wurde. Das gefiel Otis Jacks. Otis schaltete das Radio in genau dem Moment ein, als der Moderator eine Nachricht kommentierte. Es ging um einen Mann, dessen Tochter mehr als zwanzig Jahre verschollen war. Der Moderator witzelte, er müsse dann wohl oder übel eine ganze Menge Unterhalt nachzahlen sowie die Tochter mit tollen Klamotten und einem Auto ausstatten.
Alle in der Redaktion schienen großen Spaß mit diesem Thema zu haben, denn es wurden weitere Kommentare eingeblendet, und alle lachten gemeinsam mit dem Moderator, der den armen Vater bemitleidete.
Otis schnaubte verächtlich und legte den Rückwärtsgang ein. Er verschwendete keinen Gedanken daran, wie es seinen eigenen Kindern wohl ergehen musste. Gerade, als er durch das Tor des bewachten Parkplatzes fuhr, nannte der Moderator den Namen des Mannes. Sam Cochrane aus St. Louis, Missouri.
Der
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