Gefangene Seele
ist.”
“Wie weit ist es noch bis Little Bayou?”, fragte Luke.
Der Mann deutete mit dem Daumen hinter sich. “Ungefähr drei Kilometer. Dort gibt es ein Motel, das ganz in Ordnung ist. Und es gibt einige Restaurants, wo sie abendessen können. Der Wetterbericht sagt, dass das Hochwasser hier in der Gegend um Mitternacht eintreten soll. Die meisten Straßen sind dann nach sechs bis acht Stunden wieder befahrbar.”
“Herzlichen Dank”, sagte Luke.
Der Fahrer lächelte ihn an, nickte und fuhr weiter.
“Sind Sie damit einverstanden?”, fragte Luke.
Jade sah Raphael mit einem Seitenblick an und antwortete dann: “Ja.”
“War einer von Ihnen schon einmal in Little Bayou?”, fragte er.
“Nein”, sagte Jade.
“Aber Sie haben schon einmal davon gehört?”
“Nie.”
Luke grinste. “Ich auch nicht. Also werden wir jetzt gemeinsam eine neue Stadt erobern, sozusagen.”
Danach legte er den Gang ein und begann, den Hügel hinabzufahren.
Das Little Bayou Motel war genau das, was man sich darunter vorstellte. Die Zimmer waren klein und schlicht. Und die Gaststube war einfach und hatte nur eine kleine Speisekarte. Aber aufgrund der Überschwemmung wohnten auch einige Einwohner von Little Bayou in dem winzigen Motel, das nur noch ein einziges Zimmer mit zwei Doppelbetten frei hatte. Wenn sie in dieser Nacht dort bleiben wollten, würden sie sich das Zimmer zu dritt teilen müssen.
Luke entschuldigte sich dafür, als er das Zimmer im Voraus bezahlte, aber Raphael zuckte nur mit den Schultern und grinste.
“Wir haben schon in Zimmern geschlafen, die wesentlich schlimmer aussahen, was Jade? Außerdem können Sie wohl nicht lauter schnarchen als Jade.”
Sie stupste Raphael in den Arm, genau so, wie er es anscheinend erwartet hatte. Die angespannte Situation wurde durch das Gelächter der beiden gelöst.
Jade beobachtete Luke, wenn er es nicht bemerkte. Sie fragte sich, was ihn so anders als die anderen Männer machte, die sie bisher getroffen hatte. Und er
war
anders, so viel stand fest. Er schien von der Idee besessen zu sein, sie zu dem Mann, der behauptete ihr Vater zu sein, zurückzubringen, egal, wie hoch der Preis dafür auch sein mochte. Bis auf Raphael hatten die Männer aus ihrer Vergangenheit selten solch eine Güte und Aufrichtigkeit bewiesen. Sie wusste nicht, was sie von Luke Kelly halten sollte, jedenfalls fürchtete sie sich nicht mehr vor ihm.
“Wir sind in Zimmer 10”, sagte Luke. “Gehen Sie doch schon mal aufs Zimmer, ich hole die Taschen.”
“Warten Sie, ich helfe Ihnen”, bot Raphael an.
Luke legte ihm eine Hand auf die Schulter. “Das ist schon okay. Ich hole sie”, sagte er und legte den Zimmerschlüssel in Raphaels Hand. “Bleiben Sie bei Jade.”
Raphael zögerte, nickte dann aber. Offensichtlich wollte Luke ihm helfen, ohne dass Jade etwas von seiner Krankheit erfuhr. “Oh, okay”, sagte er und ging voraus, während Jade ihm folgte.
Die Inneneinrichtung des Zimmers war nicht gerade erbaulich, aber es war sauber. Was Jade anging, war das ein deutlicher Vorteil. Luke kam hinter ihnen her und stellte die Taschen auf dem Boden ab.
“Suchen Sie sich Ihr Bett aus”, sagte er.
“Ich nehme das neben dem Badezimmer”, sagte Jade.
Raphael berührte ihr Gesicht mit seinem Handrücken, sah Luke an und zuckte mit den Schultern.
“Sie schläft nicht gern im Dunkeln. Normalerweise lassen wir nachts immer ein Licht an.”
“Das ist okay”, sagte Luke und setzte sich auf das zweite Bett. “Hat außer mir noch jemand Hunger?”
Raphael aß ziemlich gern und sprach auch gern darüber, aber in den letzten Wochen hatte er weniger und weniger Appetit gehabt. Wenn er das aber zugäbe, würde es Jade beunruhigen, also antwortete er als Erster.
“Ich könnte etwas essen”, sagte er.
Jade grinste. “Du kannst immer etwas essen.”
“Gut”, sagte Luke. “Wollen Sie hier im Motel essen, oder sollen wir schauen, was uns Little Bayou sonst noch zu bieten hat?”
“Ich würde gern hier essen”, ließ Raphael verlautbaren. Je näher er an einem Bett war, desto wohler war ihm. Bei dem Gedanken wollte er am liebsten sofort schlafen gehen.
“Dann machen wir es so”, stellte Luke fest. “Wollen Sie sofort essen gehen?”
“Können wir uns nicht einfach duzen?”, fragte Raphael. Er warf Jade einen kurzen Seitenblick zu. “Ich meine, wenn wir schon in einem gemeinsamen Zimmer schlafen, ist es doch ein wenig merkwürdig, sich immer noch zu siezen …” Jade sah
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