Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefangene Seele

Gefangene Seele

Titel: Gefangene Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
Vom Netzwerk:
wahrhaben. Sein ehemals hübsches Gesicht war nun gelblich und eingefallen, und seine Haut hing ihm schlaff an den Knochen. Sobald er wusste, dass Jade in Sicherheit war, verbarg er seine Schmerzen nicht mehr. Nun befand er sich fast in einem komatösen Zustand, während Schmerzmittel die stechende Pein in seinem Körper so gering wie möglich hielten.
    Er stöhnte und hustete. Jade sprang von ihrem Stuhl auf, zog sich die Aids-Handschuhe über, die sie tragen musste, und nahm ein feuchtes Tuch von einem Tisch. Sie wischte ihm Speichel von den Lippen und berührte dann mit dem Handrücken leicht seine Schläfe. Sie war ganz heiß, das bedeutete, dass das Fieber zurückgekehrt war.
    Sam hatte eine private Krankenschwester engagiert und dafür gesorgt, dass Raphael in einem Einzelzimmer untergebracht worden war. Die Krankenschwester war gerade hinausgegangen, um eine neue Infusion zu holen. Sobald sie wieder da war, berichtete Jade ihr vom Fieber.
    “Er ist schon wieder heiß”, sagte sie leise.
    Die Schwester zog ihren Mundschutz wieder hoch und trat ans Bett.
    “Ich muss noch einmal Fieber messen”, sagte sie. “Warum gehen Sie nicht für einige Minuten hinaus? Vielleicht sollten Sie sich mal etwas zu essen besorgen. Haben Sie heute überhaupt schon etwas gegessen?”
    Jade zuckte mit den Schultern. “Ich weiß es nicht.”
    Die Schwester klopfte ihr sacht auf die Schulter und schob sie zur Tür.
    “Das Essen in der Cafeteria ist nur halb so schlimm, wie es immer heißt. Probieren Sie mal die Hühnersuppe. Die ist recht gut.”
    Jade wollte etwas dagegen sagen, aber sie wusste, dass es vergeblich sein würde. Sie hatte es schon einmal versucht, an dem Tag als Raphael eingeliefert wurde. Mittlerweile hatten sie und die Schwester geklärt, welche Rollen sie in Raphaels Pflege einnehmen würden. Und im Moment brauchte er Jade nicht. Er brauchte die Medikamente, die ihm die Schwester verabreichte.
    “Ja, vielleicht mache ich das”, antwortete sie, dann ging sie zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. “Sie rufen mich, wenn etwas ist, nicht wahr?”
    “Ja.”
    “Ich gehe dann jetzt in die Cafeteria. Sie können mich über den Pieper rufen, wenn …”
    “Gehen Sie schon”, unterbrach sie die Krankenschwester, “sein Zustand ist stabil …”
    Jade hatte zwar wahrgenommen, was die Schwester ihr gesagt hatte, aber sie hatte den Satz nicht zu Ende gesprochen, und dass ängstigte Jade am meisten: “…
im Moment.”
    Die Schwester sprach nicht davon, dass sein Zustand “… im Moment stabil” war, obwohl sie es meinte. Das wussten beide.
    Jade zog ihren OP-Umhang aus, nahm den Mundschutz ab, zog die Handschuhe von den Fingern und tat alles in den Wagen mit der Gefahrengut-Kennzeichnung, der draußen auf dem Flur stand. Dann ging sie zu den Aufzügen. Sie erschreckte sich vor dem Sonnenlicht, das durch ein Fenster zu ihrer Linken in den Flur flutete, und vor der kühlen Brise, die durch die Belüftung in ihr Gesicht schlug. Krankenschwestern eilten auf dem Flur umher, und aus einem Warteraum am Ende des Ganges drang leises Murmeln. Plötzlich überkam sie eine Welle der Entrüstung, während sie auf den Aufzug zuging. Wie konnten die Leute nur so tun, als ob nichts geschehen sei? Wussten sie denn nicht …? Oder war es ihnen egal? Raphael lag im Sterben. Ihre Welt war aus den Fugen, während jemand über Nudeln mit Käsesoße sprach.
    Dann drehte sie sich um und wandte sich zu der Tür, die mit der Aufschrift AUSGANG gekennzeichnet war. Sie wollte nicht gemeinsam mit Leuten in einem Aufzug stehen, die sich über Nudeln mit Käsesoße oder Politik unterhielten.
    Das Treppenhaus war leer, und es war still. Sobald sie den Fuß auf den glatten Fliesenfußboden gesetzt hatte, hallte ihr Schritt im ganzen Treppenhaus wider. Sie ergriff das Geländer und ging die Treppe hinunter. In jeden Schritt legte sie mehr Wut hinein, bis sie schließlich im ersten Geschoss anfing zu weinen. Sie stolperte, da sie durch die Tränen nur noch verschwommen sah, konnte sich aber wieder fangen, bevor sie stürzte. Sich immer noch am Geländer festhaltend fiel sie auf einer Stufe auf die Knie und drehte das Gesicht zur Wand.
    Die Schluchzer bahnten sich ihren Weg durch ihre Kehle. Sie konnte kaum atmen, so sehr war ihr die Kehle zugeschnürt, sodass nur Laute nach außen drangen. Weder konnte sie tief Luft holen, noch konnte sie aufhören zu weinen.
    Plötzlich spürte sie Arme, die sie hochhoben und auf die Füße zogen. Sie

Weitere Kostenlose Bücher