Gefangener der Sinne - Singh, N: Gefangener der Sinne
Aber im Augenblick musste sie ihren Verstand beisammen halten. „Amara ist Keenans biologische Mutter. Seine Intelligenz und das Fehlen von Sicherungen ist ihr Erbe. Aber in allen anderen wichtigen Aspekten bin ich seine Mutter.“
„Ich möchte dir ja nicht widersprechen.“ Seine Stimme klang weicher, aber das Knurren war ihr immer noch anzuhören. „Aber etwas begreife ich einfach nicht – ihr habt doch beide für den Rat gearbeitet. Warum hat niemand gewusst, wer von euch beiden schwanger war?“
„Wir sind uns so ähnlich, dass die Leute uns oft verwechseln – selbst Mediale, die sonst nicht zu solchen Fehlern neigen. Außerdem haben wir im selben Labor an denselben Projekten gearbeitet. Wir haben die Entscheidung sehr früh getroffen, und es fiel uns nicht schwer, die andere zu imitieren, sobald die Schwangerschaft sichtbar wurde. In diesen Monaten habe ich Amara gestattet, meine Gedanken zu verfolgen, und sie erlaubte es umgekehrt auch mir.“ Jede schmerzhafte Sekunde hatte sich gelohnt. „Bei dem Eingriff an meinen Eileitern haben wir Glück gehabt. Da es nicht darum ging, mich zu verletzen, arbeiteten sie minimal invasiv.“ Wenn man sie aufgeschnitten hätte, hätte ihr Körper sie wahrscheinlich verraten.
Dorian griff nach der Tasche. „Komm – den Rest kannst du mir unterwegs erzählen.“ Er ging nach unten zum Wagen.
Nate und Tammy sahen zu, wie sie abfuhren. Der Wächter hatte die Arme um seine Gefährtin gelegt. So etwas wünsche ich mir auch, dachte Dorian. Eine Familie. Die Gefährtin sicher in seinen Armen. Ihr Kind in Rufweite.
Aber gerade war er mehr als sauer auf seine zukünftige Gefährtin. „Was war der Auslöser?“, fragte er, als sie auf die Hauptstraße einbogen.
„Knurr mich gefälligst nicht an.“
Es war ihm nicht einmal aufgefallen. „Los, rede.“
Ihr Rücken wurde steif, aber sie antwortete ihm, sprach so schnell, dass er Mühe hatte, die Worte auseinanderzuhalten. „Amara hat aus ihren Eizellen und einer Samenspende ein Embryo geschaffen und es mit einer Krankheit infiziert. Sie wollte es nach der Geburt töten und Teile des Gehirns untersuchen, um zu sehen, wie weit die Infektion fortgeschritten war.“
Dorian war zunächst sprachlos. Er brauchte ein paar Minuten, um die Empörung der Katze abzuschütteln. „Sie wollte ihr eigenes Kind töten?“ Keenan töten?
„Ich habe es dir doch schon gesagt“, sagte Ashaya, und ihre Stimme zitterte vor Angst und unterdrücktem Ärger. „Für Amara sind andere Leute keine menschlichen Wesen. Ich bin die Einzige, die anders ist – und bis Keenan auf der Bildfläche erschien, war ich auch die Einzige, die sie davon abhalten konnte zu morden.“
Er versuchte sich vorzustellen, wie schwer diese Verantwortung auf ihr gelegen hatte, es gelang ihm jedoch nicht. Wie zum Teufel hatte Ashaya das bloß überlebt? „War bestimmt nicht leicht.“
„Eigentlich doch“, sagte sie zu seiner Überraschung. „Sie ist zwar eine Psychopathin, würde aber nie einfach nur zum Spaß töten. Ihre Fähigkeit zur völligen Unvoreingenommenheit macht sie im Grunde zur perfekten Wissenschaftlerin, die Wissenschaft ist ihr Leben. Ich musste nur dafür sorgen, dass man ihr Aufgaben gab, die sie forderten.“ Ihr Atem ging unregelmäßig. „Aber in diesem Fall hätte die wissenschaftliche Arbeit zu Mord geführt. Mir war klar, dass ich sie eher getötet hätte, als zuzulassen, dass dem Baby etwas geschah. Obwohl …“
Er schüttelte den Kopf. „Es muss schrecklich für dich gewesen sein, dich mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, deine Zwillingsschwester zu töten, aber Frauen sind nun einmal so, wenn es um ihre Jungen geht. Du bist da keine Ausnahme. Warum also ist Amara immer noch am Leben?“
„Begreifst du denn nicht?“ Sie brachte die Worte kaum heraus. „In guten wie in schlechten Zeiten, sie ist doch seine Mutter.“ Jedes Wort traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. „Nur ihretwegen ist er überhaupt auf der Welt – wie hätte ich ihr das Kind erst stehlen und mich ihrer dann entledigen können? Wie hätte ich meinem Sohn gegenübertreten können mit dem Blut seiner Mutter an den Händen?“
Immer stärker spürte er die emotionalen Nackenschläge. „Du hast sie also irgendwie davon überzeugt, ihre mütterlichen Rechte aufzugeben. Wie hast du das denn gemacht?“
„Ich musste sie auf einer Ebene ansprechen, die sie verstand.“ Unnachgiebig und unerschrocken, eine Leopardin, die für ihr Junges kämpft. „Ich musste so
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