Gefesselte Lust
zeigt eine Frau, die sich vollkommen von der Erde gelöst hat – sie hängt aufrecht, gehalten nur von mehreren roten Seilen, unter der Decke. Sie hält das Haupt leicht gesenkt, sodass ihr Gesicht von ihren langen schwarzen Haaren halb verdeckt wird. Ihr Körper ist so schlank, dass er nahezu knabenhaft wirkt, nur die von roten Seilen umrahmten kleinen Brüste zeigen, dass es sich bei der Person um eine Frau handelt. Sie ist nackt bis auf einen winzigen String.
Das gesamte Bild besteht nur aus schwarzen, weißen und roten Elementen. Die Seile waren bestimmt nicht leicht zu ertragen, ich kann mir vorstellen, dass sie die Frau überall eingeschnürt haben, aber das Motiv vor mir will nicht zu diesem Gedanken passen. Es scheint, als würde die Frau schweben und als wären die Seile selbst nichts weiter als Begleiter, die ihr Halt geben sollen.
Mein Blick fällt auf den flachen Bauch der Frau – das rote Seil formt darauf ein hübsches Muster aus Knoten, das sich an ihrem Körper entlangschlängelt und schließlich zwischen ihren übereinandergelegten Beinen verschwindet. Mir wird warm, unwillkürlich stelle ich mir vor, wie es sein muss, wenn ein so dünnes Seil gegen den Schamhügel drückt und sich drängend an die weit offenen Schamlippen presst …
Ich atme tief ein und lege meine Hände auf mein Gesicht, um es zu kühlen. Jonah tritt an mich heran, sein Arm um meiner Taille fühlt sich warm und verheißend an. »Gefällt es dir?«
Ich kann nicht antworten, und er nimmt es mir nicht übel. Stattdessen beugt er sich näher und küsst meinen bloßen Hals. Ich atme scharf ein und sehe ihn an. Seine Augen wirken durch das Licht in der Halle dunkler; sie ähneln dem Meer an seiner tiefsten Stelle. Seine Lippen öffnen sich; sie glänzen feucht. Einladend.
Ich weiß, was jetzt passieren wird, mein Körper übernimmt die Führung, und meine Angst, meine Sorgen, sind wie weggeblasen. Diesmal kann ich Jonahs Kuss genießen. Anfangs ist es nur ein sanftes Tasten. Seine Lippen streicheln meine, seine Zungenspitze stupst sacht gegen meinen Mund, ohne mich zu drängen, ihn zu öffnen. Er will mich prüfen, austesten, wie weit ich ihm entgegenkomme. Doch mir fehlen seine Erfahrung und auch die Geduld. Ich will mehr. Meine Lippen öffnen sich für ihn, und geschmeidig schlängelt sich seine Zunge in meinen Mund, spielt und ringt spielerisch mit der meinen, bis es mir den Atem raubt. Ich spüre, wie meine Knie nachgeben und ich gegen ihn sinke. Jonah hält mich sicher, als wäre es das Normalste der Welt. Vielleicht ist es das für ihn, vielleicht hält er jede Nacht Frauen im Arm, die unter seinen Küssen dahinschmelzen.
Es ist mir gleich. Ich will mir diese Illusion erhalten – heute Nacht gehört er mir. Er besitzt mich schon lange, aber zum ersten Mal erhalte ich die Chance, dass auch er mir gehört. Wenn auch nur in meiner Phantasie.
Er ist noch immer erregt, ich spüre es deutlich an meinem Bauch. Seine Erektion ist verheißungsvoll, hart und sanft pochend. Ich bin neugierig – zum ersten Mal in meinem Leben will ich einen Mann nackt sehen, will seine Erregung in Augenschein nehmen, spüren, ja, sogar schmecken. Ein Bedürfnis, das mir neu ist und mich völlig hinwegreißt.
»Helena.«
Es dauert eine Weile, bis ich registriere, dass Jonah mit mir spricht. Ich hebe den Kopf und begegne seinem Blick. »Lass uns gehen.«
Jonahs Wohnung ist modern, aber kühl eingerichtet. Bauhaus-Stil; klare Linien, wenig Dekorelemente und ein ähnliches Farbschema aufweisend wie sein Büro. Jonah liebt Blau. Mein Herz schlägt schneller, als ich erkenne, dass ich endlich ein wenig Einblick in die Persönlichkeit dieses Mannes erhalte.
Er schließt die Tür hinter uns und lässt mir einen Moment Zeit, um mich umzusehen. Wir befinden uns in einem Loft – viel Glas. Ich stehe im Wohnzimmer und kann durch die großzügigen Glaswände die Lichter von Berlin sehen. zum ersten Mal betrachte ich sie nicht mit Kälte oder Abscheu. Sie sind wunderschön.
Jonah ergreift meine Hand und führt mich aus dem Wohnzimmer in den nächsten Raum. Auch hier herrscht der Bauhaus-Stil vor; ein großes schlichtes Bett dominiert den Raum. Daneben steht eine Kommode, deren Oberfläche aussieht, als wäre sie aus einem einzigen Stück Onyx gearbeitet worden. Auf der anderen Seite, rechts neben dem Bett, steht ein Schrank an der Wand. Er besitzt Schiebetüren aus milchigem Glas, in das unauffällige, aber wunderschöne Muster geschliffen wurden. Das
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