Gefesselte Lust
Gesicht zwischen seine Hände und bringt mich dazu, meinen Kopf zu heben. Ich schlucke hart; bevor ich mich ihm entziehen kann, öffnet sich mit einem Klingeln die Schiebetür des Fahrstuhls. Draußen steht Jonah, die Hand noch auf dem Taster. Ich bin wie erstarrt; Jonahs Gesichtsausdruck kann ich nicht deuten, er wirkt äußerlich ruhig, doch hinter dieser Fassade scheint etwas zu arbeiten.
Marcus dagegen ist in keiner Weise peinlich berührt. Er lächelt mich an, dann gleiten seine Hände langsam von meinem Gesicht. »Auf Wiedersehen«, sagt er zu Jonah und drückt den Knopf zum Erdgeschoss. Die Türen gleiten wieder zu. Kaum ist die Kabine unten angekommen, dränge ich mich an Marcus vorbei hinaus. Er hält mich nicht auf.
Jonahs Gesicht geht mir nicht mehr aus dem Kopf. War es Abscheu auf seinem Gesicht? Verachtung? Ich kann es nicht sagen, und ich ärgere mich, dass mich diese Frage überhaupt noch beschäftigt. Er hat mir heute klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass die Sache in seinem Büro ein Ausrutscher war. Für ihn.
In mir spüre ich noch immer diese seltsame Sehnsucht, die er in mir geweckt hat, und das nur wegen eines einzigen Kusses. Mehr hat es nicht gebraucht, damit Jonah Winter meine gesamte Welt erschüttert. Umso mehr schmerzt es mich, dass dieser Kuss für ihn so bedeutungslos war.
Kaum dass ich zuhause bin, verkrieche ich mich vor den Fernseher und lenke mich mit diversen Grey’s-Anatomy-Folgen ab. Im Tiefkühlfach warten eine Packung Eis auf mich sowie diverse Tiefkühlpizzas, aber ich fühle mich nicht einmal in der Lage, den kurzen Weg in die Küche zu bewältigen. Am liebsten würde ich einfach nur hier liegen bleiben, bis die Welt, und vor allem Jonah Winter, vergessen hat, dass ich existiere.
Plötzlich klingelt es Sturm. Ich stehe auf und werfe mir im Gehen den Bademantel über meinen ausgeleierten Pyjama.
Ein Dauerklingler hat mir gerade noch gefehlt! Ich ignoriere das Ganze gut fünf Minuten, dann gebe ich entnervt auf. »Ja?«, sage ich in die Gegensprechanlage.
»Lass mich rein.« Die Stimme ist durch den Lautsprecher elektronisch verzerrt, aber ich erkenne sie sofort.
»Was willst du?«
»Helena, lass mich rein.«
Ich starre die Gegensprechanlage an, als wäre sie der Grund all meiner Probleme. Schlussendlich drücke ich aber doch auf den Summer und öffne auch meine Haustür.
Kurz darauf steht er vor mir – Jonah Winter, in ein einfaches Hemd und Jeans gekleidet. Auf seinen Wangen zeigt sich nach wie vor der leichte Bartschatten, und seine Haare wirken sogar noch eine Spur unordentlicher als vor Stunden im Büro. In mir streiten sich Wut über sein ablehnendes Verhalten und das Bedürfnis, in seine Arme zu fallen und ihn noch einmal zu küssen.
»Was tust du hier?«, frage ich so gefasst wie möglich und verfluche mich im Stillen für den schlampigen Frotteepyjama.
Jonah kommt näher, und ich muss mich zwingen, nicht einen Schritt zurückzuweichen. Es scheint ihm egal zu sein, ob er mir zu nah kommt – ohne Zögern betritt er meinen persönlichen Bereich und ist plötzlich so nah bei mir, dass ich nur den Kopf vorbeugen müsste, um meine Lippen auf seine Brust drücken zu können.
Er sieht auf mich herab, und in seinen Augen finde ich nichts mehr von dieser Kälte, die er mir zuletzt entgegenbrachte. »Zieh dich an«, sagt er mit rauer Stimme. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
Ich schlucke, doch meine Kehle bleibt rau. »Und was … was, wenn ich nicht will?«, flüstere ich mit dem letzten Rest Stolz, den ich zusammenkratzen kann.
Jonahs Hände legen sich um meine Oberarme. Er zieht mich noch näher, und ich spüre seinen Körper an meinem. Zwischen seinen Beinen drückt sich etwas Hartes, Heißes gegen den Jeansstoff, und ich fürchte, dass ich binnen der nächsten Sekunden in seinen Armen zu flüssigem Wachs werde. Sein Atem streift mein Ohr. Ich zittere. »Komm mit mir.«
Es ist, als wäre jegliches Denken in mir abgestellt worden. Ich versuche nicht einmal mehr, gegen seine Wirkung auf mich anzukämpfen. Ich frage auch nicht weiter – es ist mir egal. Selbst wenn ich meinen gesamten Stolz für eine einzige Nacht mit diesem Mann eintausche, ist es das wert.
Wortlos drehe ich mich um und gehe ins Schlafzimmer. Ich weiß nicht, wohin er mich bringen will, aber an der Seite dieses Mannes kann es auf keinen Fall Jeans und T-Shirt sein. Ich durchwühle meinen gesamten Kleiderschrank, bis ich auf ein Sommerkleid stoße, das einmal meiner Mutter gehört
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