Gefesselte Lust
mir Essen gehen, nichts weiter.« Fast schon automatisch verteidige ich mich, obwohl ich nicht einmal weiß, warum eigentlich. Immerhin sind wir kein Paar, Marcus ist unser aller Chef und nicht an mir als mögliche Partnerin interessiert. Bisher ist er der einzige Mensch in dieser Stadt, dem ich einigermaßen traue – abgesehen von Jonah. Doch der ist gerade dabei, dieses Vertrauen massiv zu erschüttern.
»Weil … Du solltest dich nicht mit ihm einlassen. Glaub mir, er ist ein Mann, von dem sich jeder fernhalten sollte.«
»Was für ein Unsinn!«, begehre ich auf. »Marcus ist unglaublich hilfsbereit und freundlich.«
»Nein, du verstehst nicht.« Jonah starrt wieder unverwandt geradeaus. In seinem Gesicht arbeitet es, und ich sehe, wie seine Kiefer mahlen.
»Ich kann mich treffen, mit wem ich will«, sage ich, und komme gerade so richtig in Fahrt. »Unsere Abmachung besagt nur, dass du …« Meine Stimme erstirbt, als ich mich wieder daran erinnere, wo wir eigentlich sind.
Jonah verschränkt die Hände ineinander und sieht auf den Boden des Taxis.
Ich seufze. »Warum stört es dich denn so, wenn ich mich mit ihm treffe?«
Jonah wirkt gehetzt. Er öffnet den Mund und sieht mich an, als wollte er etwas sagen, doch dann schließt er ihn wieder. Zu meiner Überraschung nennt er dem Fahrer meine Adresse. »Ich hole dich heute Abend ab«, sagt er, nachdem ich ausgestiegen bin. »Bereite dich vor.« Ohne ein Grußwort fährt er davon.
Am Abend klingelt mein Handy. Es ist kein Anruf, sondern eine SMS von Jonah; er wartet schon vor der Tür.
Ich habe aus meinem Fehler beim ersten Mal gelernt und mich für ein Kleid entschieden, das Aliyah mir vor Wochen mal aufgedrängt hat. Ich habe mich zu einem Shoppingtrip in der Mittagspause überreden lassen und mir dort von ihr und der Verkäuferin dieses Kleid aufschwatzen lassen. Es ist eng, rot und reicht mir bis knapp über das Knie. Der Rücken ist tief ausgeschnitten und mündet, ähnlich wie mein meerblaues Kleid, in einen Wasserfallsaum, der die Illusion erzeugt, dass das Kleid jederzeit über meinen Po rutschen könnte. An diesem Abend trage ich es mit hochhackigen Schuhen aus dem gleichen Laden, in dem ich auch das Kleid gekauft habe. Als ich mich im Spiegel betrachte, bin ich dankbar für beide Einkäufe.
Mein Haar fällt mir lang und weich über die Schultern, und ich habe mich auch an einem etwas aufwendigeren Make-up versucht.
Vor der Tür parkt Jonahs Wagen, wie er es versprochen hat. Als er mich ansieht, werden seine Augen für einen Moment groß. Ich beeile mich, auf den Sitz neben ihn zu rutschen. »Gefällt es dir nicht?«, frage ich unsicher und versuche, den Rock tiefer zu zupfen.
Jonahs Hand legt sich auf meine und hält mich davon ab. »Es ist perfekt.«
Nervös schlage ich die Beine übereinander. Jonah fährt los und blickt mich von der Seite her an. »Perfekt«, wiederholt er, und mich beschleicht das Gefühl, dass er tatsächlich mich meint und nicht das Kleid. Verlegen streiche ich mir die Haare aus dem Gesicht und versuche, meine Freude nicht allzu deutlich zu zeigen.
Wir fahren durch das nächtliche Berlin, und ich genieße Jonahs Anwesenheit und seine Nähe. Er steuert den Wagen sicher durch den dichten Berliner Verkehr; jetzt wirkt er wesentlich ruhiger als noch am Mittag. Dennoch ist bei ihm eine gewisse Anspannung zu spüren, die mich wieder an das Raubtier in ihm erinnert. Als würde er einer Beute auflauern, jederzeit bereit, sie zurückzuerobern.
Ich schließe die Augen und lausche auf seinen Atem, die Geräusche des Wagens, die Stimme der großen Stadt. Erst als das Auto hält, schlage ich sie wieder auf. Diese Umgebung kenne ich – es ist die gleiche stillgelegte Fabrik, die Jonah mir auch bei unserem ersten Ausflug gezeigt hat. Diesmal stehen keine Autos auf dem Parkplatz und auch die Beleuchtung fehlt. Ein einsames Licht erhellt den Parkplatz und den mit Stein gepflasterten Platz, über den Jonah mich nun führt.
Den Weg in die ehemalige Fabrikhalle kenne ich mittlerweile, und es wartet eine Überraschung auf mich, als ich sie betrete. Ein ganzes Fotoset ist im Innern aufgebaut; einige Leuchtschirme sind bereits eingeschaltet und erhellen den Raum. Verschiedene Accessoires liegen bereit – ich sehe einen Stuhl, mehrere Haken und einige Seile. Außer uns beiden ist nur ein Mann anwesend. Er kommt auf Jonah und mich zu und begrüßt uns freundlich. Er ist groß und sehr schlaksig, fast dürr. Auch wirkt er etwas unruhig;
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