Gefeuert
Außerdem hat es mich so viel Kraft gekostet, mich innerlich von dem Unternehmen zu lösen – und auf einmal darf ich doch wieder zurück? Dieses Hin und Her überfordert mich gerade.
»Mal abwarten, ob überhaupt etwas daraus wird«, versuche ich das Thema zu beenden. Aber es gelingt mir nicht. Der Anruf von Herrn Roth beschäftigt mich für den Rest des Tages, was sogar Ella auffällt.
»Warum bist du denn so ruhig?«, fragt sie beim Einkaufen.
»Ach, ich denke nur an eine Arbeit, die ich am Abend machen möchte.« Das stimmt tatsächlich. Ich habe heute noch einiges vor.
Doch abends habe ich große Schwierigkeiten mich zu konzentrieren. Da passt es mir gut, dass unser Freund Max mal wieder spontan, wie es seine Art ist, zu einem seiner »Klage-Besuche« vorbeikommt und mich von der heute so zähen Arbeit ablenkt. Er nimmt sich den Stress im Büro zu sehr zu Herzen und muss ab und an seinen Frust an neutraler Stelle loswerden. Als er das letzte Mal da war, drohten in seiner Firma Kündigungen. Das hat sich inzwischen konkretisiert.
»Glaubst du, es erwischt dich auch?«, frage ich ihn.
»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich glaube nicht.« Er schüttelt den Kopf. »Keine Ahnung. Das ist mir inzwischen auch gar nicht mehr so wichtig. So kann es nicht weitergehen! Einer Kollegin von mir, die seit 20 Jahren dabei ist, haben sie geraten, bald ein Abfindungsangebot anzunehmen. Ansonsten wird ihr gekündigt. Du glaubst gar nicht, wie ihr das aufs Selbstwertgefühl schlägt. Die ist fix und fertig, traut sich nichts mehr zu.«
»Das ist doch kein Wunder. Ihr Chef hat ihr ja schließlich zu verstehen geben, dass ihre Arbeit nicht mehr gebraucht wird. Natürlich ist das heftig nach einer so langen Zeit.«
Jetzt mischt sich Johannes ein. »Ihr nehmt das alle doch viel zu persönlich! Als Angestellte tauscht ihr Arbeitszeit gegen Geld. Das ist alles. So müsst ihr das sehen!«
»Du hast recht, theoretisch. Aber wenn man 20 Jahre in derselben Firma arbeitet, fühlt man sich verwurzelt. Das ist ein Teil deines Lebens. Das ist fast wie Familie«, versuche ich die Gefühlslage meinem Mann zu erklären, der so gut wie immer selbstständig gearbeitet hat. »Das ist doch bei mir genauso. Ich fühle mich wie die verstoßene Verwandte seit der Kündigung.«
»Was tut sich denn bei dir?«, fragt da Max und guckt mich mit großen Augen interessiert an.
Oh, wie ich die Frage manchmal hasse! Aber ich bin ja selbst schuld, ich habe ihn geradezu darauf gestoßen.
»Ach, mal sehen«, lenke ich ab. Ich will jetzt nichts von dem Anruf von Herrn Roth erzählen, ich will erst einmal abwarten, was daraus wird. Ich versuche, das auch Johannes lautlos klarzumachen, ohne dass es Max mitbekommt. Ich rolle schräg hinter ihm vielsagend mit den Augen und durchschneide mit der Hand die Luft. Hoffentlich versteht er mich. Max bemerkt davon zum Glück nichts, er stiert depressiv in die Kerze.
Ja, es funktioniert. »Sie hat in der Exarbeit immer noch ein Büro«, sagt mein Mann, um dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, und erklärt, was es damit auf sich hat.
»Und wieso arbeitest du nicht dort?«, fragt Max.
»Das bringt doch nichts. Mein letzter Besuch war wirklich nett. Das lasse ich jetzt so stehen. Das ist ein guter Abschluss«, beende ich das Thema.
Nachts im Bett sehe ich trotzdem wieder mein Büro vor mir. Es wirkte so einladend. Und ich finde es irgendwie rührend, dass es mir bis zum Ende der Kündigungsfrist zur Verfügung steht. Es ist so ein netter Zug. Eigentlich zu nett. Vielleicht würde mir die Kündigung im Moment leichter fallen, wenn ich sauersein könnte. Aber so, wie sie mich behandeln, habe ich keinen Grund, sauer zu sein, oder? Doch, da war was: Damals die Sache mit der Betriebszugehörigkeit, um die sie mich beschissen haben. Das war unmöglich. Auf einmal fällt mir auch wieder ein, wie mein vorheriger Chef mir riet »Passen Sie auf, was Sie unterschreiben!«, was ich damals nicht wirklich verstanden habe. Wieso war ich so dumm, nicht nachzuhaken? Den Hinweis hätte ich ernster nehmen müssen, statt gutgläubig den neuen Vertrag nicht zu hinterfragen. Ich versuche, Wut aufzubauen. Aber es will mir nicht richtig gelingen. Also versuche ich, mich über Herrn Roths Anruf aufzuregen. Das ist unmöglich, dass sie mir erst kündigen und mich jetzt auf freier Basis anheuern wollen! Eigentlich sollte ich aus Prinzip »Nein« sagen. Das hätte Rückgrat! Andererseits könnte ich zwei Monate lang gutes Geld verdienen,
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