Gefeuert
freundlich. Aber jetzt scheint sie mir schwierig. Gäbe es eine Skala von eins bis zehn der Gefahrenfaktoren im Büroleben, würde ich sie auf acht einstufen. Im Vorbeigehen hat sie vorhin mal schnell die Sekretärin niedergemacht, obwohl ich dabei war. Während des Gesprächs ist sie nun sichtlich bemüht, die Schwierigkeit der Aufgabe zu betonen. Es gelingt ihr nicht, mich damit zu beeindrucken. Sicher, es ist eine Position mit Verantwortung, aber sie ist absolut machbar. Es geht nicht darum, eine neue mathematische Formel zu erfinden oder einem Patienten das Leben zu retten. Beides würde mich mit deutlich mehr Ehrfurcht erfüllen. Ich schätze die Mitarbeiterin so ein, dass sie mehr an ihrem eigenen Fortkommen interessiert ist als am Wohlergehen ihrer Vertretung. Natürlich, ich könnte mich täuschen. Aber währendmeiner langen Berufsjahre habe ich meinen Blick erfolgreich geschärft – und habe auf lange Sicht fast immer richtig gelegen, auch wenn ich meinen ersten Eindruck fälschlicherweise manchmal korrigiert hatte.
Nicht nur ich bin schlecht vorbereitet. Auch der Chef hat im Vorfeld offenbar keine Minute in das Gespräch investiert und füllt seine Rolle nicht richtig aus. Ich war davon ausgegangen, dass er weiß, wer ihm gegenübersitzt. Stattdessen ist er erstaunt, dass ich schon so lange im Unternehmen war. Zwischendurch stellt er zusammenhanglos Fragen zu meinem Lebenslauf wie »Und was haben Sie studiert?« und »Wo kommen Sie eigentlich her?«, so als müssten diese Fragen nun einmal abgehakt werden, weil es hier ja schließlich um ein Vorstellungsgespräch geht. Während er sich am Anfang noch ganz gut als fordernder und wählerischer Arbeitgeber in Position gebracht hat, lässt er an Fahrt nach, bis unser Treffen mehr einer Unterhaltung gleicht. Es scheint, als würden wir uns gegenseitig unterschwellig signalisieren: »Komm, wir wissen doch beide, worum es geht. Das passt schon mit uns.«
Am Anfang des Gesprächs hatte ich den Eindruck, dass er und Frau Schmidt bemüht waren zu betonen, dass ich als »eine« Möglichkeit gelte. Gegen Ende heißt es: »Lassen Sie es sich durch den Kopf gehen. Bis wann können Sie uns Bescheid sagen?« Damit ich das nicht als einseitige Zusage verstehe, fügt der Chef noch an: »Natürlich hat das letzte Wort der Geschäftsführer.«
Auf dem Rückweg gehe ich mit mir hart ins Gericht. Ich ärgere mich, dass ich so schlecht vorbereitet war. Den schlechten Start hätte ich mir locker sparen können. Und wie konnte ich nur sagen, dass ich den Job »nicht auf Dauer« machen will? Wenn mir gegenüber eine Bewerberin je so einen Spruch losgelassen hätte, wäre sie ganz klar durchgefallen. Andererseits verlief das Gespräch insgesamt ja seltsamerweise dennoch ganz gut. Ich glaube, der Chef würde mich nehmen – wenn er einen Anruf bei einem meiner früheren Vorgesetzten machen würde, sowieso. Bei der Mitarbeiterin bin ich mir nicht so sicher. Unddann hat ja auch noch »der Geschäftsführer das letzte Wort«. Ha! Da werde ich wütend. Erst kündigt er mir, löst gleich ein ganzes Tochterunternehmen auf, um mich und meine Kollegen loszuwerden – nur, um jetzt wieder darüber zu befinden, ob ich für zwei Monate als Vertretung geholt werden darf. Sobald ich daran denke, will ich nur eines: absagen.
Was mache ich jetzt nur? Ich habe versprochen, mich schon am nächsten Tag zu melden. Meine Freunde würden sich wundern, warum ich darüber überhaupt nachdenke. »Mensch, wie toll«, würde es heißen. »Klar machst du das. Keine Frage.« Aber hier geht es nicht darum, wie andere die Möglichkeit einschätzen, sondern was sie für mich selbst bedeutet. Natürlich müsste ich wegen des Geldes und im Hinblick auf mein Netzwerk, das ich dadurch erweitere, zusagen. Doch der Nachteil ist, dass ich zwei Monate weg vom Fenster bin und damit meine neuen Kontakte und meine Selbstständigkeit unter Umständen gefährde. Ich könnte während dieser Zeit keine Aufträge annehmen. Würde ich damit durchkommen, mich nach den zwei Monaten wieder zu melden mit den Worten: »Hallo, ich bin wieder da. Habt ihr was für mich?«? Außerdem wäre die Zeit bis zur Vertretung sehr stressig. Ich müsste einen Auftrag, an dem ich schon arbeite, viel schneller als geplant fertig bekommen. Und ich müsste rechtzeitig meine Existenzgründung bei der Arbeitsagentur durchboxen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich das zeitlich schaffen würde. Und was ist mit den Bewerbungen? Was ist, wenn ich in der
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