Gefeuert
Zwischenzeit ein Vorstellungsgespräch oder gar eine Zusage erhalte? Und hätte ich überhaupt Zeit, mich weiterhin zu bewerben?
Ich bin froh, als ich endlich zu Hause ankomme, und werfe sofort ein Aspirin gegen die Grippebeschwerden ein.
»Da klebt dir was hinten am Rücken«, sagt Ella.
Ich fasse an meinen Rücken – und habe das Preisschild meiner nagelneuen Bluse in der Hand. Das gibt es doch nicht. Mir hing während des ganzen Gesprächs das Preisschild aus dem Kragen heraus. Ella bekommt einen Lachanfall und auch ich kann nicht anders, als kopfschüttelnd zu grinsen, als ich mirdie Situation plötzlich slapstickartig vorstelle. Wie konnte mir so etwas nur passieren? Ob sie es überhaupt bemerkt haben?
Trotz Aspirin geht es mir abends sehr schlecht. Ich habe Schüttelfrost wie noch nie. Als ich endlich meiner Krankheit klein beigebe und mich mit Fieber und Schmerzen ins Bett lege, geht mir das »Bewerbungsgespräch« wieder und wieder durch den Kopf. Es nimmt albtraumartige Züge an. Ich sehe den Chef, wie er sich am Anfang abwartend in seinem Bürostuhl zurücklehnt, während er später, als er über »die Leidenschaft« doziert, sprungbereit auf der vorderen Kante sitzt. Ich sehe das Preisschild überdimensional aus meinem Kragen hängen und höre mich wieder und wieder meine Antworten sagen, die ich im Nachhinein so schlecht und immer schlechter finde.
»Sie wirken so nett!«, schreit mich der Chef plötzlich an. »Meine Führungskräfte brauchen Leidenschaft! Leidenschaft!!!«
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Die Zu- und Absage
Am nächsten Vormittag ziehe ich mich in mein Büro zurück, um Ruhe für den Anruf zu haben. Mit meinem Grippekopf war ich nicht wirklich fähig, eine sinnvolle Entscheidung zu treffen, das Für und Wider ganz in Ruhe durchzugehen. Noch mit dem Hörer in der Hand überlege ich, was ich machen soll. Eine innere Stimme hat mir von vorneherein gesagt: Das passt. Aber ich schaffe es nicht, die Gründe, die dagegensprechen, loszulassen.
Außerdem ärgert es mich wirklich, dass ich auf diese Art im Unternehmen bleiben »darf«. Was ist denn das für eine Personalpolitik? Wäre ich Geschäftsführer, so würde ich doch nicht Mitarbeitern kündigen, sie monatelang bei vollem Gehalt freistellen, ihnen ein Büro frei halten, aber die E-Mail -Adresse nehmen, ihnen eine Abfindung zahlen, um ihnen noch während der Freistellung für die Zeit danach einen Vertretungsjob als Selbstständige anzubieten. Wie soll man bei diesem Hin und Her den Glauben an den Arbeitgeber behalten und mit voller Motivation wieder bei der Sache sein?
Ich wähle die Nummer der Mitarbeiterin Frau Schmidt. Und sage zu. Den Ausschlag dafür gibt am Ende nicht der Gedanke ans Geld, sondern die Erinnerung an das Gespräch mit dem Chef. Ich würde tatsächlich gerne mit ihm zusammenarbeiten und könnte sicherlich einiges von ihm lernen. Frau Schmidt reagiert nicht gerade enthusiastisch. Sie klingt nicht einmal erfreut.
»Ich werde es weitergeben«, sagt sie. Und dann: »Ich nehme an, dass sich der Chef oder der Geschäftsführer bei Ihnen melden wird.«
Nachdem ich aufgelegt habe, denke ich mir: »Okay, das war’s. Du hast deinen Teil getan. Verlass dich nicht darauf, dass es klappt.« Schließlich weiß ich, dass die wirtschaftliche Situation im Unternehmen nach wie vor schwierig ist.
Obwohl ich immer noch krank bin, quäle ich mich an meinen Schreibtisch. Ich muss den Businessplan ergänzen. Ich will jetzt den ganzen Formularkram für die Selbstständigkeit so schnell wie möglich fertig bekommen. Mit diesem Plan, der mir anfangs gar nicht so schwierig zu sein schien, schlage ich mich jetzt schon seit Wochen herum. Den Aufwand hatte ich definitiv unterschätzt. Das liegt nicht nur am strengen Auge meines Vaters, der mir bei der Erstellung geholfen hat. Die Arbeitsagentur verlangt, dass man den Plan einer »fachkundigen Stelle« vorlegt, wie zum Beispiel der Industrie- und Handelskammer, und eine schriftliche Stellungnahme dazu einholt.
»Wir werden Ihnen keine Steine in den Weg legen«, hieß es dort. Aber dann bekam ich den Plan postwendend zurückgeschickt mit der Bitte, auch Urlaubs- und Krankheitstage zu berücksichtigen. Und das will ich jetzt noch schnell einbauen. Auch wenn ich eigentlich fast nie krank bin und wenn doch, dann wie Sarah zu den Präsentisten zähle, die sich aus überhöhtem Verantwortungsgefühl auch mit Fieber an die Arbeit machen. So wie jetzt. Aber der Businessplan ist wirklich dringend.
Meine Grippe
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