Gefeuert
war kürzlich mal wieder im Unternehmen. Ich komme gerne vorbei, auch wenn es sich inzwischen seltsam anfühlt.«
»Was erzählst du da bloß?«, frage ich mich, kaum dass esdraußen ist. »Herr Roth hat, seit du ihn kennst, niemals so etwas Ehrliches und Persönliches von sich gegeben.«
Einen kurzen Moment herrscht ein peinliches Schweigen. Dann sagt Herr Roth: »Und jetzt habe ich auch noch eine seltsame Frage.«
»Das gibt’s doch nicht!«, denke ich mir, und sehe mein leeres Büro vor mir. Will er mir womöglich einen Job anbieten? Die Gedanken stürmen durcheinander. Was ist mit meinen Aufträgen als Selbstständige? Ich habe doch noch Bewerbungen offen.
»… wir bräuchten jemanden für zwei Monate«, höre ich Herrn Roth.
»Das klingt interessant«, antworte ich und finde, es klingt routiniert. Dann fällt mir ein: »Wäre das dann im Angestelltenverhältnis oder auf freier Basis?«
»Auf freier Basis. Angestellt wäre natürlich besser«, sagt er fast entschuldigend.
Ich hatte die Frage in dem Moment ohne Hintergedanken gestellt. Ich wollte einfach nur wissen, um welche Art von Angebot es sich handelt. Es ist doch verrückt, dass er gerade jetzt anruft – seit meinem letzten Besuch habe ich endlich wieder eine gesunde Distanz aufgebaut und kann einschlafen, ohne an mein leeres Büro zu denken.
Kaum habe ich Interesse signalisiert, habe ich den Eindruck, dass er es eilig hat, zum Ende zu kommen. Hätte ich vielleicht meine Frage, ob es sich um ein Angestelltenverhältnis handelt, nicht so direkt stellen dürfen?
Ungewöhnlich ist es nicht, dass gekündigte Arbeitnehmer als freie Mitarbeiter wieder angeheuert werden. Ich erinnere mich, dass in der Exarbeit früher schon Ehemalige plötzlich als Selbstständige wieder aufgetaucht sind. Auch Luc »darf« seit seiner Kündigung auf Honorarbasis für seinen alten Arbeitgeber arbeiten. Dem Unternehmen bringt das nur Vorteile: Der Einsatz der Mitarbeiter ist flexibel, die Personalkosten sind niedriger, weil keine Beiträge für die Sozialversicherung anfallen, und die Mitarbeit kann jederzeit beendet werden,ohne dass lange Kündigungsfristen eingehalten werden müssten.
Den Nachteil haben die freien Mitarbeiter. Ihr Arbeitsverhältnis ist viel unsicherer als das ihrer fest angestellten Kollegen. Manche hängen jahrelang als freie Honorarkräfte am Tropf eines Unternehmens, in der Hoffnung, wieder eine Festanstellung zu bekommen. Den Nachteil hat auch die Gesellschaft. Wenn plötzlich immer mehr Mitarbeiter gezwungenermaßen als Selbstständige arbeiten, zahlen weder sie noch die Arbeitgeber in die Sozialversicherungssysteme ein.
Eine andere zunehmend beliebte Methode von Unternehmen zur Senkung von Personalkosten ist die Gründung einer eigenen Leiharbeitsfirma. Zuvor entlassene Mitarbeiter werden über diese wieder eingestellt – und deutlich schlechter bezahlt als früher. Beim Drogerieunternehmen Schlecker gelangte diese Praxis kürzlich an die Öffentlichkeit und sorgte für viel Aufhebens. Dabei ist die Drogeriekette kein Einzelfall. Nach Untersuchungen des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen ist diese »Sparmaßnahme« bei Unternehmen verschiedenster Branchen beliebt, sogar kirchliche Pflegeeinrichtungen und Wohlfahrtsverbände haben interne Zeitarbeitsfirmen gegründet. Der Fall Schlecker sorgte zwar bei Politikern unterschiedlichster Parteien für Empörung, doch die Unternehmen tun nichts Illegales. Vom Gesetz her ist diese Praxis erlaubt.
Während ich noch darüber nachdenke, wie viel Honorar ich verlangen kann, höre ich Herrn Roth die Abschiedsfloskel einläuten.
»Jetzt arbeiten Sie mal schön weiter selbstständig«, sagt er. »Ich werde Ihre Telefonnummer an den Abteilungsleiter weitergeben.«
Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich »schön« gesagt hat, aber der Tonfall ist entsprechend. Es klingt so gönnerhaft wie »Na, das machen Sie ja ganz gut«. Oder ist es »schön« für ihn, weil er so einen weiteren Exmitarbeiter hat, den er jederzeit, wenn Not am Mann ist, auf Honorarbasis ins Unternehmen zurückholenkann? Oder will er sich damit absichern, dass ich mich nicht zu früh auf dieses schwammige Angebot verlasse?
»Und?«, fragt Johannes neugierig, nachdem ich aufgelegt habe.
»Ich kann vielleicht für zwei Monate als Vertretung arbeiten.«
»Das ist ja klasse!«, freut sich mein Mann.
Ich bin weniger euphorisch. Ich kenne die Abteilung. Sie gilt – gelinde gesagt – als schwierig.
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