Gefeuert
da werde ich darauf angewiesen sein, falls ich mich selbstständig mache. Mal sehen, ob sie sich überhaupt wieder melden, seufze ich und drehe mich zum zwanzigsten Mal um, um endlich einzuschlafen.
Sie haben sich wieder gemeldet. Gleich am nächsten Tag. Und schon drei Tage später bin ich unterwegs zur Exarbeit, um mich in der neuen Abteilung vorzustellen. Ich bin alles andere als fit. Eine Grippe kündigt sich an. Ich habe Schüttelfrost, Gliederschmerzen, eine laufende Nase und einen unangenehmen Hustenreiz. Insgeheim hoffe ich, dass das Telefon klingelt und der Termin abgesagt wird, aber nichts dergleichen geschieht. Auch der Weg dorthin ist mühsam. Die U-Bahn hat ungewöhnlich große Verspätung, und nur dank meines großzügigen Zeitpuffers, den ich bei Terminen immer einplane, bin ich gerade noch pünktlich.
Ich treffe mich mit dem Abteilungsleiter und der Mitarbeiterin Frau Schmidt, die es zu vertreten gilt. Sie führt mich gleich ohne anzuklopfen ins Chefbüro und hier fühle ich mich einen kurzen Moment deplatziert. Es ist mir unangenehm, den Chef kalt erwischt zu haben, er wollte sich gerade setzen.
Mit den Worten »Worüber sprechen wir jetzt noch einmal,Frau …?«, eilt er auf mich zu. Das wirkt auf mich inszeniert ignorant. Ich kann es einfach nicht glauben, dass er angeblich nicht einmal meinen Namen parat haben sollte, vom Anlass des Gesprächs ganz zu schweigen.
Dann folgen schreckliche Minuten. Und das geschieht mir recht. Denn ich habe versäumt, mich vorzubereiten. Während ich vor meinem ersten Bewerbungsgespräch, das dann so erfolgreich verlief, jede nur erdenkliche Frage durchgegangen war, bin ich jetzt blank. Meine einzige Vorbereitung bestand darin, mir die Höhe des Honorars auszurechnen. Psychologen würden da sicher einiges herauslesen. Mein Verhalten ließe sich zum Beispiel mit einer verborgenen Abneigung gegen den Job erklären oder mit meinem notwendigen Loslösungsprozess von der Exarbeit oder mit meiner uneingestandenen Wut darüber, erst gekündigt und dann wieder einbestellt worden zu sein, oder mit meinem verletzten Stolz, hier als Bewerberin wieder angekrochen kommen zu müssen.
Vielleicht ging ich auch einfach nur davon aus, dass ich hier eben nicht als Bewerberin empfangen würde, nachdem ich schon so lange und ja eigentlich immer noch im Unternehmen bin. Ich hatte vielmehr den Eindruck, »die wollen etwas von mir« – nicht umgekehrt.
Wie dem auch sei: Ich gebe eine denkbar schlechte Bewerberin ab. Ich spiele meine Rolle nicht gut. Es gelingt mir nicht, die nötige Motivation und Begeisterung rüberzubringen.
»Trauen Sie sich das denn zu?«, werde ich gefragt (»Was für eine seltsame Frage«, denke ich mir. »Natürlich! Sonst wäre ich doch nicht hier!«), und: »Wollen Sie das wirklich machen?«
Oh Gott, ich muss ja ziemlich desinteressiert wirken. Und dann antworte ich auch noch dämlich. Sie haben mich auf dem falschen Fuß erwischt. Oder ist die Grippe schuld, dass es mir so schwerfällt, heute das Spiel »Bewerber – Arbeitgeber« mitzuspielen?
»Ja, ich würde den Job gerne machen«, sage ich. »Nicht auf Dauer. Aber zur Vertretung auf jeden Fall.«
Komischerweise nehmen sie mir das nicht übel. Was ist danur in mich gefahren? Liegt es vielleicht daran, dass ich schon vorher von der Befristung wusste? Für jemanden, der mich nicht kennt, könnte die Antwort arrogant wirken. Doch so ein bisschen Bewerber-Arroganz scheint zumindest in diesem Gespräch nicht schlecht anzukommen. Im Gegenteil. Ich habe mehr und mehr den Eindruck, dass der Chef beginnt, um mich zu werben.
»Ich will Sie ja nicht überreden«, sagt er – um dann weit ausholend von seiner Abteilung und dem Job zu schwärmen. Er spricht von »der Leidenschaft«, die man brauche. »Alle, die hier sind, machen das leidenschaftlich«, wiederholt er sich. Dann fällt ihm Mobbing ein. »Das gibt es bei uns nicht«, sagt er.
Na ja, denke ich zweifelnd, wenn man das schon betonen muss, kann es mit der Stimmung im Team nicht weit her sein. Ich hatte, bevor ich ihn heute kennenlernte, über die Gerüchteküche im Unternehmen schon manches über die Abteilung gehört. In zwischenmenschlicher Hinsicht wenig Gutes, was daran liegen mag, dass Schlechtes lieber getratscht wird. Nun bin ich überrascht, wie sympathisch ich den Chef finde. Mit ihm käme ich sicher prima zurecht. Bei der Mitarbeiterin Frau Schmidt, die es zu vertreten gilt, bin ich mir dagegen nicht sicher. Am Telefon wirkte sie sehr
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