Gefeuert
und ein »bequemes Leben« halte ich für Arbeitslose unmöglich. Das weiß ich schon jetzt, obwohl ich offiziell bislang nur »arbeitssuchend« bin.
Der Vorbehalt gegen Arbeitslose ist weit verbreitet. Das merke ich nicht nur an den Reaktionen anderer. Sondern auch an mir. Ich bin verdammt froh, nicht sagen zu müssen: »Ich bin arbeitslos.« Selbst das »Ich bin gekündigt« habe ich mir gespart. Erst war ich »in Elternzeit«, nun »arbeite ich selbstständig«. Das nimmt neugierigen Fragern mit ihrem »Was machst du jetzt eigentlich?«, sofort den Wind aus den Segeln. So stimmt die Fassade. Es ist akzeptabel in einer Gesellschaft, in der nur derjenige eine Daseinsberichtigung hat, der arbeitet. »Arbeitslos«, das klingt nach zu Hause passiv herumsitzen und nichts tun – dabei tut man eine Menge, meine Gekündigtenarbeit nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch. Ich rechtfertige mich – warum eigentlich?
In dieser schlechten Stimmung mache ich mich ein paar Tage später auf den Weg in die Exarbeit. Es sind nur noch wenige Wochen, bis mein Anstellungsverhältnis endet. Zuvor habe ich zu Hause alle Unterlagen zusammengesucht, die aus der Firma stammen. Einige Papiere hatte ich in die Elternzeit mitgenommen – sollten Rückfragen kommen oder ich von zu Hause aus Arbeiten übernehmen. Jetzt möchte ich sie zurückbringen. So steht es auch in meinem Abfindungsvertrag: Ich bin verpflichtet, sämtliche Unterlagen etc., die dem Unternehmen gehören, »ordnungsgemäß« zurückzugeben.
Die vergangenen Wochen hatte ich die Fahrt zur Arbeit immer mal schmerzlich vermisst. Gerade dem Alltagstrott, der einen so nervt, solange man drinsteckt, trauere ich nun wehmütig nach. Ich bin gerne bei Wind und Wetter zur Arbeit gefahren. Jetzt jedoch, wo ich tatsächlich auf dem Weg dorthin bin, verhagelt es mir meine ohnehin schon schwierige Laune. Ich fühle mich wie nach meinem letzten Besuch, als ich das Abfindungsangebot erhielt – mit dem Unterschied, dass ich jetzt erst hinfahre. Und ich habe Bauchschmerzen, aber das kann auch vom Frühstücksei kommen.
Und dann wird es zunächst überraschend nett.
Den ersten Kollegen von früher treffe ich noch vor demGebäude, die anderen besuche ich an ihren Schreibtischen. Alle scheinen sich zu freuen, mich zu sehen, und nehmen sich Zeit.
»Komm, ich zeige dir deinen Arbeitsplatz«, sagt auf einmal eine Kollegin.
»Wie?«, frage ich planlos zurück, marschiere ihr aber brav hinterher. Ich erwarte eine Kammer, in der sich die Überreste unseres beendeten Projekts traurig stapeln – alte Ordner, ausrangierte Computer, Kabelwirrwarr.
»Hier ist es!« Sie bleibt vor einem Einzelbüro stehen.
Ich sehe einen leeren Bürostuhl, einen Schreibtisch mit Laptop, Bücherregale.
»Wie?«, frage ich wieder und sehe sie verwundert an.
»Der wird noch für dich freigehalten, bis dein Arbeitsvertrag ausläuft.«
Ich fasse es nicht. Das ist
mein
Büro! Zum ersten Mal in meiner langen Firmenzugehörigkeit habe ich ein Einzelzimmer – und das, ohne davon zu wissen. Sicherlich, ich erinnere mich, wie Herr Roth sagte, dass ein Arbeitsplatz für unser Team während der Freistellungen bestehen bleibt. Aber ich habe mir eher einen Katzentisch irgendwo in einem Konferenzraum vorgestellt, kein neues voll eingerichtetes Arbeitszimmer. Die alten Büros sind mittlerweile alle neu belegt. Auf einmal fällt mir ein, dass ich die einzige Übriggebliebene bin, weil ich die längste Kündigungsfrist hatte. Die Verträge der anderen Kollegen sind schon längst abgelaufen.
Ich hätte also all die vergangenen Monate hier arbeiten können! Das ist doch verrückt. Es ist auch merkwürdig, dass ich meine E-Mail -Adresse nicht mehr nutzen darf, diesen Arbeitsplatz aber schon. Da stehe ich vor meinem leeren Büro und bin traurig und ärgere mich gleichzeitig, dass ich davon keinen Gebrauch gemacht habe. Vielleicht hätte ich davon profitiert, näher dran zu sein, man hätte vielleicht eher an mich gedacht bei freiwerdenden Stellen oder zu vergebenden Aufträgen. Und es wäre doch auch schön gewesen, hier zu arbeiten. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
Gut, dass in diesem Moment mein ehemaliger Chef Jürgen zufällig vorbeikommt.
»Wie geht es dir?«, frage ich ihn.
»Ganz gut, solange mir nicht gekündigt wird …«
Die Kündigungsangst geht im Unternehmen um. Bei unserem Projekt damals ging es Knall auf Fall. Für den Rest des Konzerns hat sich die Geschäftsführung eine andere Methode
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