Gefluesterte Worte
Stille nicht aushalten kann, die sie umgibt.
Da kann man nur ganz geduldig sein, wie unter dem Operationsmesser, wie bei einer tiefen und schweren Wunde, die eben ihre Zeit braucht, bis eine schmerzende Narbe zurückbleibt, und man das Leben wieder aufnehmen kann. Je mehr Geduld, je besser für beide. Wissen wir, warum die Kinder unsern ungeschickten Händen entrissen werden? Vielleicht haben wir ihnen nicht die Bedingungen entgegengebracht, unter welchen sie sich zur größten Vollkommenheit entwickeln konnten. In der Ewigkeit zählen nur die Seelen, und die sollen das beste erreichen dürfen, und sobald sie nicht die günstigen Bedingungen finden, nicht den Boden, auf dem sie sich entwickeln dürfen, so werden sie wieder verpflanzt. Oder sie haben nur die Erde streifen wollen, um das hineinzutragen, was sonst gefehlt haben würde. Vielleichtsind es schon zu vollkommene Seelen, um auf der Prüfungsstätte, welche Erde heißt, zu verweilen; daher der Ausdruck »Zu gut für diese Welt« wohl ein ganz berechtigter sein mag.
Die Natur selbst hat das Weib zweimal geheiligt, als Jungfrau und als Mutter und zum dritten Mal oft als Märtyrerin. Ist das nicht genug für die elende Erde?
Schmerz
Aus den Tiefen des Schmerzes steigt es wie der Dampf der Täler an den Bergwänden in die Höhe, sich an alle Felsen und Bäume klammernd, um endlich das Himmelsgewölbe zu berühren, von wo es als strömender Regen oder als zerschmetternder Hagel, oder als Schnee, der alles verhüllt, wieder herunterfällt. Die Natur und du, Seele, ihr macht es ganz gleich. Es ist ein Äußern, das sich immer wiederholt. Dein Schmerz ist in den Abgründen verborgen und muß doch immer wieder empor, schweigsam wie die Dünste, aber unaufhaltsam, sich verdichtend, je nach der Macht dessen, was dich getroffen hat, und das nicht zur Ruhe kommen kann. Was in dir zittert und kocht und gährt und wühlt, das kann nicht verborgen bleiben. Es nimmt oft weder Namen noch Gestalt an, so wenig wie die Nebel, aber es ist doch so stark wie das, was die Wetter braut und niederfällt in unaufhaltsamer Gewalt.
Der Schmerz hat sogar erst die Furchen indir gezogen, in denen er weiter gewühlt hat, bis tiefe Schrunnen und ganze Bergschlünde und gähnende Abgründe entstanden sind, die du selbst nicht mehr messen, in welche du garnicht mehr hinunterblicken kannst; denn sie sind so unermeßlich tief. Dein Schmerz ist so groß, als stünde er ganz allein in der Welt, in einer weiten Wüste des Unverstandes, des scheinbaren Wohlergehens andrer Leute, des Nichtbegreifens deiner Qual, oder gar des Vermehrens derselben. Du und dein Schmerz, ihr seid ganz allein, in einem einzigen gewaltigen Ringen, in welchem du immer unterliegst. Denn Seele, das weißt du wohl, daß du noch niemals stärker gewesen bist, als der Schmerz, sondern immer schwach und hilflos ihm gegenüber, wenn du auch noch so sehr gemeint hast, du könntest ihn niederkämpfen und fortwischen aus deinem Herzen, aus deinem Leben. Er ist da, er tritt dich mit Füßen, er liegt auf deiner Brust, und wie sehr du auch keuchst, und um Gnade flehst, er hat kein Erbarmen, er schlägt dir seine furchtbaren Tatzen in die Flanken, in die Nieren, in die Kehle, er würgt dich, er schüttelt dich wie der Sturm den Baum, er nimmt dir die Möglichkeit, empor- oderhinauszuschauen, oder seine Gegenwart einen Augenblick zu vergessen. Für dich hört die Welt auf, so lange er da ist in seiner entsetzlichen Gewalt. Die Sonne hat ihren Schein verloren, der Wald sein Grün, der Tag sein Licht, die Nacht ihre Ruhe. Du bist nur eine Masse von Qual, so elend, daß du verschmachtest, und kein Wasser gibt es, das deinen Durst stillen kann, auf der ganzen Erde fließt es nicht. Dein Durst ist größer als die Wasser der weiten Erde, dein Schmerz ist größer, als alles, was sonst Schmerzen stillt. Worte sind leerer Schall, du kannst sie garnicht verstehen. Gedanken gibt es nicht mehr, du kannst ihnen kein Gehör geben, denn sie haben alle dieselbe Gestalt; sie gleichen deinem Schmerze, der sie ganz unterjocht hat und gefangen hält. Es dringt kein Ton bis zu dir, Teilnahme nicht, du siehst sie kalt die Teilnahme, die man dir zeigt, denn sie hilft dir nicht.
Schmerz, Schmerz, Schmerz, das ist das einzige, das du verstehen kannst, in der wühlenden Qual. Es kommt dir auch kein Geber, nicht einmal ein Seufzer mehr, denn zum Seufzen ist dir die Brust zu enge. Da geht keine Luft hinein und auch keine heraus, essteht alles still in dir,
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