Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Sylva
Vom Netzwerk:
nicht durch ein Wunder zurückgehalten wird, die nach dem pochendenHerzen zielt. Gott allein weiß, wie verlassen sich seine armen Menschenkinder manchmal fühlen können, denn die äußerste Grenze der Qual teilt keiner dem andern mit, weil er fürchtet, man wird an seinem Verstande zweifeln und ihn noch tiefer ins Elend stoßen, statt ihm zu helfen. Die Leute, die soviel Weh noch nicht kennen, zweifeln leicht an dem Verstande des Verzweifelnden, sie wissen nicht, wie dunkel es in einem völlig gesunden Hirne aussehen kann, Sie vergessen, daß wir allesamt Gefangene sind in der Schädelzelle, und daß das Gehirn in tobenden Wellen an die engen Wände anschlägt und keinen Ausgang findet, darum leicht zu dem einzigen Ausweg greift, der offen scheint, anstatt zu warten, daß das Gehirn austobt und ein wenig stiller wird. Die Seele hat nur das einzige Instrument, so lange sie auf die Erde verurteilt ist.
    Das ist freilich sehr klein und sehr unbedeutend für der Seele gewaltige Ewigkeit. Sie kommt vielleicht schon aus hundert anderen Existenzen, reich beladen mit Wissen und mit Schuld, die zu sühnen sie noch einmal auf die Erde gesandt ist, oder beladen mit dem allerheiligsten Berufe des Märtyrertums, das vielenzur Hilfe werden soll, die sonst an der Erde zweifeln und verzweifeln würden, und die nur durch dein Heldentum, Seele, den Pfad der Ewigkeit finden und betreten. Denn wir sind alle für alle da, und unser Leid ist gebucht, unsere Kraft berechnet. Die soll hinaus wirken in weiten Umkreis. Nur brauchen wir es nicht zu wissen. Wir sind wie die Mönche in jenem strengen Orden, die Tag und Nacht schreiben und arbeiten, aber nie erfahren dürfen, wozu ihre Arbeit benutzt worden ist, oder wohin sie getragen worden und wirken soll.
    Wir wissen nicht, ob wir nicht gegenseitig den Schmerz uns von den Schultern nehmen dürfen, und was der eine trägt, andern erspart bleiben darf. Freilich würden sich nur wenige bereit finden, wenn man sie früge, den andern durch eigne Pein Pein zu ersparen, nur die Mütter würden ohne Zaudern sich in alle Höllen stürzen, damit ihrem Kinde eine Stunde der Angst erspart bliebe.
    Wir wissen nicht, warum wir leiden und glauben, daß das schwerer ist, als wenn wirs wüßten. Aber dem ist nicht so. Wir haben ein zu beschränktes Gehirn, um zu begreifen, wie wir in dem Weltall stehen und wirkensollen und warum uns die Dornenkrone zuerkannt wird, die wir nicht begehrt haben. Wissen wir, ob wir sie nicht begehrt haben, ob wir nicht gefragt worden sind, ob wir ein furchtbares Erdenleben auf die Schultern nehmen wollen, bevor wir begonnen haben? Wissen wir, ob wir nicht als höchste Ehre erlesen haben, leidensvoll und schwer geprüft zu sein, oder ob nicht unsere Einsicht so groß war, daß wir gesehen, durch eine schwere Erdenlaufbahn weit, weit höher zu kommen, als wenn unser Los leicht und das Erdenleben bequem gemacht worden wäre? Wissen wir, ob wir nicht gewählt wie Herkules am Scheidewege? Wissen wir, ob wir nicht mit Enthusiasmus das Herbe auf unsere Schultern genommen, als wir nicht wußten, daß wir es mit menschlichem Gehirn, anstatt mit der göttlichen Seele tragen müßten? Vielleicht haben wir wie im Blitz gesehen, was uns so dunkel erscheint und so unerträglich und haben wir gemeint, als Helden das Erdenleben durchwandern zu können, und scheitern nun an der Übermacht des Erlebten, da wir nicht mit der schwachen Gehirnkraft gerechnet, die wir vergessen oder für größer hielten, als sie ist. Wissen wir das alles?
    Vielleicht erschien uns im Augenblick der Ewigkeit das Erdenleiden wie eine Stunde, und dachten wir nicht, daß es uns auf der Erde endlos lang erscheinen würde.
    Vielleicht ist es unser letztes Erdenwandern, und darum die allergrößte, letzte, furchtbarste Prüfung, ein wahres Höllenfeuer, damit das Metall, was in uns steckt, in so reinem Guß herausströmt, daß es reif wird für andere Höhen und anderes Licht und andere Kraft. 0 nicht schwach werden, Seele, nicht verzagen! Nicht denken: »Ich kann nicht mehr!« Denn, wenn dein Gehirn nicht mehr kann, und dein Herz nicht, und die Nieren nicht, und die Eingeweide sich winden, dann kannst du, Seele, immer noch, denn du bist ewiges Metall in der Weißglühhitze, bei der das Hirn siedet und die Augen verbrennen. Und du sollst rein und lauter aus der Qual hervorgehen, Du fragst dich oft, ob du wirklich so großer Leiden wert bist? Ja, du beginnst erst zu begreifen, daß du überhaupt einen Wert hast, an dem

Weitere Kostenlose Bücher