Gefluesterte Worte
und ist doch nicht tot. Wenn es nur tot wäre, das wäre leichter als die übermenschliche Qual, als das Gefühl, daß alles dunkel geworden ist wie im Grabe, für immer und immer, und daß es nie wieder Tag werden kann für dich. Sagte man dir, daß du im Leben noch einmal lächeln wirst, so würdest du es für eine Kränkung ansehen; lächeln, wenn das Herz gebrochen ist! Ja lächeln so wie die Mater Dolorosa lächelt, die das Haupt ihres einzigen Sohnes an die Brust drückt und ihm noch unter strömenden Tränen zulächelt, weil es ihr ist, als könnte ihr Lächeln ihm den Tod weniger bitter machen!
Aber dem Grabe von dem, was man besessen und verloren, die Hoffnung, die nicht mehr ist und nicht wieder sein kann, der Liebe, die gestorben ist, diesem Grabe lächelt man nicht zu, und darüber weg meinst du, wirst du nie mehr gehen; darüber weg lächeln? Nein, das scheint ganz unmöglich. Alles ist unmöglich, das Leben und das Sterben gar. Denn du hast ihn gerufen, den Tod, du hast ihn angefleht, dich mitzunehmen, und er hat sich abgewandt, und hat dich nicht aus den Krallen des Schmerzes befreien wollen. Dem Todekönntest du zulächeln, wenn er dich von hinnen tragen wollte, aber er geht vorüber und hat den Blick nicht einmal nach dir gewandt. Warum? O warum? Du warest so bereit, mit ihm zu gehen! Statt dessen geht er hin und rafft hinweg, was noch gern leben wollte, was noch keinen Schmerz gekannt und kein Unglück und keine Bitternis und kein Verzagen und keine Not und alles nicht, woran du verschmachtest, Seele, und er muß doch fort, er muß die Erde verlassen, ob er sie auch schön findet und gern noch ihr leuchtendes Grün und ihre Sonne und ihre ruhevollen Freuden genießen könnte, die dir alle nicht mehr sind; denn du hast keine Kraft und dennoch keine Ruhe. Du bist immer müde, immer und immer müde, so müde, Seele, du meinst einen Stein auf dem Haupte zu tragen, und einen auf dem gekrümmten Rücken, und Blei in den Füßen und die Arme wie zerbrochen. Du möchtest dich gern zu deinem Schmerz ins Grab hinein legen; denn du meinst nach dem Grabe kommt nichts mehr für dich! Ja, Seele, du weißt, daß du in sehr tiefen Schlünden bist, du hast die Abgründe gemessen, und die Steilheit der umgebenden Wände, an denen keinEmporklimmen und kein Entkommen mehr ist, sondern nur stählernes Grauen, unerbittliche Höhe und dunkle Nacht, kein Sonnenstrahl dringt in deine Schlünde mehr hinein, und doch, Seele, die Sonne steht noch immer über dir, an derselben Stelle, sie ist auch noch warm und groß, und sie allein hat die Macht, den Schmerz niederzuzwingen, gegen den die ganze Erde machtlos ist. Die Sonne hat allerlei Kraft, die du nur nicht kennst. Die Sonne weckt auf deinen Gräbern Blumen, an die du nicht geglaubt, die Sonne hat sogar für die Tiefen deiner Verzweiflung Verständnis, wie hell sie auch erscheint und wie wenig sie aussieht, als könnte sie Leid begreifen, sie die immer lacht.
Die Sonne ruft die Saaten ans Licht, welche deine Tränenströme begossen haben. Du meinst, du habest keine Saat gesät, du glaubst, dein Korn ist verdorrt in deiner Hand, denn der Schmerz ist wie der Sturmwind darüber hingegangen und kein Halm kann mehr erstehen, Und doch ist dem nicht so. Ganz im verborgenen Winkel deiner Leiden, Seele, da steht die Saat leise auf, da keimt etwas, das du garnicht bemerkt hast. Aber Gott hat es bemerkt, und seine Engel haben es gehütet,vielleicht gerade derjenige, den du für Wüstensturm gehalten hast. Gerade der Gottesbote, der dir alles nahm, der dich zerschmetterte und zu Staub zermalmte, der hat mit einem Blicke die grüne Stelle belebt in dir, an welcher du genesen und dir selbst beweisen sollst, daß du noch ein Mensch bist, und daß du nicht aufgehört hast, zu sein, weil alles aufgehört hat um dich her, was deine Welt war.
Sogar die Trostesworte, die dir dein ganzes Leben heilig waren, sind nun nichts mehr in deiner Qual, du meinst, die trösten wollen, wissen nicht, daß man nicht mehr leben kann, daß man nur eine Wunde, eine Masse von Weh ist, und keine Ehre und kein Gefühl und keinen Verstand mehr hat, nur leiden, leiden, leiden.
Doch liebe Seele, die dich trösten wollen, die wissen es wohl, die haben es vor Jahren selbst erfahren, sie sind in der Hölle gewesen, sie haben die heißen Nächte im Bett gesessen, mit dem tobenden Herzen zwischen den Händen und gedacht, daß jeden Augenblick der letzte sein wird, oder zum letzten gemacht werden wird, wenn die Hand
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