Gefluesterte Worte
verlassen. Du warst nur dazu bestimmt, das aufzudecken, aber nicht das Neue durchzuführen, das du so deutlich siehst. Wie mancher Moses hat wie manches Kanaan nur von fern gesehen und hat müssen zufrieden sein, nach einem langen Leben unausgesetzten Kampfes und unbeschreiblicher Mühsal. Verhülle dein Haupt, du warst nicht dazu erlesen, die Menschheit weiter zu führen, als sie gehen konnte. Die Menschheit geht nicht mit Riesenschritten und Siebenmeilenstiefeln, sondern mit Schneckenschritten und oftmals denselben Weg hin und wieder, bis sie sich entschließt voranzuschreiten.
Du weißt nicht, wie oft du auf deinem Wege selbst gezaudert hast und verlangst, daß alle die Überzeugung teilen, die du auf schweren Pfaden mühselig errungen. Du bist sicher, daß du nicht geirrt hast. Wer gab dir diese Gewißheit? Du hast nicht geirrt, wohlan, so werden deine Wahrheiten allen Menschen Wahrheiten werden, später, dann, wenn sie dich vergessen haben, und deine Gegenwart sie nicht mehr zum Zorne reizt. Du weißt ebensowenig,was die wirkliche Wahrheit ist, wie die andern. Du weißt nicht, warum du deine Ueberzeugung bis zum Tode verteidigen mußt. Du weißt nicht, wozu du ein Werkzeug hast sein sollen, und hast nicht die Kraft zu sagen, daß es einerlei ist, ob du geopfert wirst, wenn nur die Sache, die du verteidigt hast, nach deinem Tode liegt. Du bist immer noch zu persönlich, und das hat dich furchtsam gemacht, Seele. Du hast nicht das Bewußtsein, daß du nur ein Teil von einem Ganzen bist, und daß du an der Stelle, an der du stehst, stehen mußt, vielleicht als Wogenbrecher, damit nicht noch größeres Unheil komme, Aber Wogenbrecher zu sein, ist schon genug. Der kann nicht auch noch Reformator sein und Führer und Held, der Wogenbrecher ist. Bescheide dich mit deiner Laufbahn! Es hat schon manch einer verschmachten müssen, der gemeint hat, Armeen führen zu sollen.
Mut ist, immer wieder zu beginnen, sobald nur Atem in die Brust zurückgekehrt ist, auch wenn man dich hat zwingen wollen, abzuschwören und Pater Peccavi zu sagen, wenn du dich keiner Schuld anklagen kannst, und gar keine Reue empfindest. Reue ist überhauptnur ein Gefühl, das der Menschen halber entsteht, denn vor dir selber in deiner Einsamkeit, was solltest du da wohl bereuen? Robinson hatte nichts zu bereuen, da er keinen schädigen konnte. Du aber fürchtest, geschädigt zu haben, ganz in andrer Weise, als es die Menschen von dir behaupten. Du fürchtest, ins Unglück gestoßen zu haben, die deinem Schutze sich befohlen hatten. Und daher deine Reue.
Du hast keine einsame Insel im Ozean, daher deine Qual. Du möchtest sie finden diese Insel, aber sie halten dich in Banden und lassen dich nicht fort. So finde sie doch in der eignen Brust, jene einsame Insel, wo es kein Weh mehr gibt, und keine Reue, und keine Schmach, wo du nur von Gottes himmlischer Luft umgeben bist. Finde sie, Seele, du hast ja Flügel bekommen, dein Kerker ist dein eigner Schädel, mach dich von deinem Schädel frei und begreife, daß der unendliche Raum dir gehört, daß man dich nicht fangen und nicht knechten kann, und dann wird dein Mut wachsen, wie Simsons Mut in der Kerkerzelle. Dann aber tritt heraus, nicht zur Rache, nicht zum Verderben, sondern mit dem breiten Flügelschlag höherer Geister, mit der errungenenRuhe, mit dem Verzeihen, das aus weiten Fernen kommt und nicht mehr weiß, wer der Verfolger war. Nimm die Verfolgung als eine Tatsache auf, nicht als eine gewollte Übeltat oder Schmach. Denke, daß sie nicht gewußt, was sie taten. Denke, daß sie dich schon vergessen, als du noch im Elend in Banden gelegen. Mut, Seele! Mut ist Verzeihen, Mut ist großmütig sein, und über seinen eignen Leiden stehen. Mut ist steigen, auch wenn das Steigen unmöglich scheint. Mut ist schweigen, da, wo die andern geredet. Mut ist, sich verleumden lassen ohne ein Wimpernzucken, und darüber hinweggehen, als hätte man es gar nicht gehört. Die Menschen haben viel weniger Gewalt über dich, als sie es meinen, da sie über deine Gedanken keine Macht haben. Die sind dein und bleiben dein, was sie auch sagen und wie sehr sie auch schreien mögen. Im engsten Raume bist du dennoch ein Herrscher, Seele, denn du beherrschst deinen Willen und dein Denken. Das ist genug.
Unterliegen ist da gleichgültig, wo du frei stehst in dir selber. Unterliegen den Menschen wie dem Schicksal, ist keine Schmach. Nur fürchten sollst du dich nicht, und du hast dichgefürchtet, sehr gefürchtet,
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