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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Sylva
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verzage nicht!
     

Mut
    Wo war dein Mut, Seele, mit dem du hinausgingst ins Leben, mit dem du Taten tun wolltest, und kämpfen so lange du Atem hattest? Wo war er, als du so kläglich unterlagst? Dein Wille vernichtet, dein Wort zitternd, dein Herz wie ein Schmetterlingsflügel am Fenster! Das war dein Mut, Seele, das war deine Kraft! Du hast diejenigen verlassen, die an dich geglaubt hatten, die sicher waren in deiner Hut, du hast dich vor Menschen gefürchtet, als wären sie Henker und als könnten sie dich in Stücke reißen mit ihren Worten. Du hast dich gefürchtet wie ein Hund! O Seele, wo war dein Heldentum?
    Was begibst du dich in Gefahr und Todesnot, wenn du nicht durchfechten kannst bis ans Ende! Es ist schwer vor der Meute nicht Hase zu sein, und nicht fortzurennen, wenn alle dir nachbellen, um sich zu verbergen, und nicht mehr gefunden zu werden. Es ist schwer, festzu stehen, wenn der Boden wankend wird unter deinen Füßen, und der Abgrund sich auftut und dir entgegengähnt. Du hast viel gewagt, weil du gemeint hast, alles tragen zu können. Du hast einen neuen Gedanken auszusprechen, ja zu verteidigen gewagt. Aber, Seele, wußtest du denn nicht, daß man sein Leben läßt für einen neuen Gedanken? Wußtest du denn nicht, daß die Menschen jedesmal nur Meute werden, wenn einer unter ihnen nicht mitgeht, wie sie gehen, sich nicht in denselben Pferch sperren läßt, in welchem sie schon so lange geschlummert haben? Hast du das nicht sehr wohl gewußt und tratest du nicht dennoch in die Schranken, und hieltest dem Stier »Gewohnheit« das rote Tuch hin? Was wunderst du dich, daß er dich auf die Hörner nahm und dich mit Füßen trat? Du mußtest in den Staub, Seele, und mit Füßen getreten werden, und große Pein erdulden, aber den Mut verlieren, das durftest du nicht, dazu warst du ein edler Ritter und hast zu große Gedanken verteidigen wollen. Nun lachen die Schranken, nun lachen sie in der Arena, weil sie meinen, sie haben dich gebändigt, und der Stier Alltäglichkeit hat dich ganz zertreten. Du aber, du liegstin Ketten und Banden, du atmest schwer mit der zertretenen Brust, und meinst zu sterben. Ja, willkommen, sehr willkommen wäre dir der Tod, du hast schon mehrmals nach dem Messer gegriffen, das die Kehle durchschneidet, weil du nicht ertragen willst, so darnieder zu liegen. Du hast dich gewunden im Staube wie ein Wurm, Seele, warum hast du denn die Menschen sehen lassen, daß du im Staube liegst? Du hättest dich aufrichten sollen wie der Torrero, die Gedärme in die Hand nehmen und hinausgehen mit erhobenem Haupte. Du aber hast die Meute wissen lassen, daß sie stärker war als du, das war deine Mutlosigkeit, Seele! Warum denn zaghaft, wenn du recht getan? Warum denn zittern, da du keine Sünde begangen? Warum denn verzagen, da die Menschen nicht klüger und nicht weiser sind als du, und da sie dich so wenig begreifen können, wie du sie begreifst? Sie sind dir fremd mit ihrer Gewohnheit und Alltäglichkeit: du bist ihnen fremd mit deinen fernen Gedanken, mit deiner Weitsicht, mit dem Vorauswissen von allerhand Unheil. Cassandra ist noch von je her verfolgt und vervehmt gewesen: du hast ihnen gesagt, was sie nicht wissen wollten, nun bringen siedich zum Schweigen, und du wunderst dich? Aber Seele, es wäre ja garnicht des Kämpfens wert, wenn der Sieg greifbar nahe stünde. Der Sieg ist oftmals nicht mehr deine Sache. Den feiern andre, die nicht in der Schlacht gestanden haben, sie werden mit Ehren und Kränzen bedeckt über deine und noch viele andere Leichen hinweg. Laß dir an deinem Gedanken genügen, an deiner Überzeugung halte fest und nähre dich davon, wenn alles bricht. Dir kam sie nicht von ungefähr, du hast den Gedanken nicht aufgesucht, sondern er suchte dich. Du hast nichts erfunden, sondern es fand dich. Du bist nur der Träger eines neuen Lichts, und da wollen die Leute lieber Finsternis, als die Leuchte dahin, wo sie ihre Schwachheit verborgen hielten. Du aber hast mit kühner Hand aufgedeckt, was moderte, und hast es dem Tage gezeigt. Was Wunder, daß darüber ein Geheul entsteht, und deine Hand lahmgelegt wird? Was Wunder, daß man eilig bedeckt, was kein Licht vertragen kann?
    Mut, Seele, aber Mut ist nicht Enthusiasmus, Kampfbegier, sondern das stille Ausharren in Ketten und in Nacht, zertreten und verleumdet, verfolgt und verstoßen, und behandeltwie Schmutz! Mut ist eine so große Kraft, daß du ihrer vielleicht gar nicht wert gewesen bist, und darum hat Sie dich

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