Gefluesterte Worte
ist die Erde keine Hölle und auch kein Himmelreich, sondern jeder Mensch ist sich selbst und andern Himmel und Hölle, sich selbst und andern Glück oder Unglück, Freude oder Herzeleid, Trost oder Pein. Denn was macht die Erde so dunkel als nur das Übelwollen der Menschen untereinander? Wie sollte dieses Übelwollen nicht sein, wenn die Armen bitter, die Reichen hart und selbstsüchtig, die Verurteilten wütend, die minder Begabten neidisch, die Leidenden widerspenstig, die Verführer triumphierend sind? So lange die Erde so bleibt, ist keine Hoffnung, daß sie erträglich werde. Sobald aber alle zur Einlicht gelangen, daß alle allen helfen sollen,dann wird sie vielleicht aufhören zu sein, dann wird diese Prüfungszeit nicht mehr notwendig, und sie wird zur Schlacke werden, wie so viele andere Gestirne, die nicht mehr notwendig sind im großen Welthaushalt.
Warum uns die Liebe unrein dünkt? Weil zu viel Körperlichkeit an ihr haftet, und weil wir das deutliche Gefühl haben, daß die Körperlichkeit abgetan werden wird, und nur die Seelen übrig bleiben werden, vorausgesetzt, daß sie ein Weiterleben nicht gänzlich verscherzt haben. Das ist auch möglich, daß nicht alle dazu bestimmt sind, wieder zu beginnen, sondern einige für unwürdig befunden werden, nachdem man ihnen den letzten Versuch gestattet, sich zu erheben, und besser zu werden.
Wir wissen nicht einmal, wer auf der Erde zum ersten Male lebt, wer zum sechsten oder zehnten Male weiterleben wird, und wer auf der Erde seine verschiedenen Existenzen für immer beschließt, weil seine Seele nicht die Kraft hat, weiter zu leben, oder nicht wert befunden worden ist, noch einmal gebraucht zu werden. Wir werden vielleicht hierin noch großes Erstaunen erleben, und diejenigen verurteilt finden, die wir für außerordentlich gut hielten, unddie andern, die verachtet und in Gefängnissen schmachtend ihr Erdenleben beschlossen haben, wiederbeginnend, und reif zu höherem Beruf, in welchem die sogenannte Sünde von ihnen abgewaschen ist. Wir sind noch nicht einmal ganz sicher, ob unser Urteil über das was wir Sünde oder gut und böse nennen, ganz richtig und stichhaltig ist.
Jedenfalls sollten wir viel bescheidener sein, als wir es sind, und uns vor Urteilen hüten, die wir in unserer Unzulänglichkeit garnicht zu fällen berechtigt sind.
Rein sein, so weit es in unserer Macht steht, und nicht fragen, ob die andern Menschen uns dafür halten; das letztere ist beinahe gleichgültig. Sagen wir, das, was wir Engel nennen, ist ganz nahe und hat alles gebucht und steht dir zur Seite, liebe Seele, wenn alles dich verläßt, und du über dein Vermögen versucht wirst. Wenn du jeden Augenblick denken würdest, daß du bewacht wirst, so würdest du nicht verzweifeln, sondern wissen, daß du behütet bist, und daß oftmals die Hilfe ganz nahe gewesen wäre, wenn du nur geglaubt hättest.
Die Geduldigen gewinnen, das wissen alle, und sind so ungeduldig!
Über einen selten ausgezeichneten alten Herrn rief ein beliebter deutscher Schriftsteller begeistert aus: »Ach! das ist ein reiner Mensch! das ist ein sauberer Mensch! von dem kann man sagen: er trägt inwendig reine Wäsche!«
Geduld
Wenn du von der Geduld sprichst, liebe Seele, dann bist du immer schon ungeduldig. Denn, so lange deine Geduld reicht, denkst du garnicht, daß du geduldig bist, oder, daß du überhaupt der Geduld bedarfst. Erst, wenn sie am Ende ist, dann fängst du davon zu reden an, als ob dir das wieder dazu verhelfen könnte. Du meinst, du bist es immer noch, aber was du vorher leicht getragen, ist plötzlich vor deinen Augen und auf deinen Schultern eine unerträgliche Last, und du begreifst in deinem Innern schon kaum mehr, wie du es so lange ausgehalten hast. Du findest dich selbst geduldig, gerade dann, wenn du aufgehört hast, es zu sein, und möchtest von andern dafür Anerkennung, ja sogar Bewunderung ernten, obgleich das schon nicht mehr da ist, wofür du bewundert sein möchtest.
Die Geduld, die man fühlt, ist keine Geduld mehr, und die Geduld, die man nicht fühlt,trägt einen ganz anderen Namen. Das ist einfach Liebhaben. Wenn man ganz lieb hat, dann braucht man keine Geduld, denn dann findet man selbstverständlich, was sonst unerträglich wäre, und was unerträglich wird, in der Stunde, wo die Liebe aus irgend einem Grunde nachläßt.
Am deutlichsten sieht man das in der Ehe, diesem sonderbaren menschlichen Verhältnis, das so wenig Bestand und Festigkeit in sich hat,
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