Gefluesterte Worte
abgelehnt, weil sie lieber nicht verantwortlich wären. Sie sagen, sie haben weder ihre Eltern, noch die Lebensstunde gewählt, in welcher sie auf der Erde erschienen sind. Wer sagt denn das? Wer sagt, ob wir nicht unsere Eltern wählen, und ob die sogenannte Liebe nicht einfaches Drängen der Seele ist, die ihre künftigen Eltern zusammenführt, um die Erde betreten zu können?
Warum es so eingerichtet ist, daß zwei Wesen notwendig sind, um ein drittes zu zeugen, das ist uns ebenfalls dunkel, denn wir kennen keine andere Entstehungsart, wenn wir sie uns auch sehr wohl denken könnten. Darum sind wir so vielverlangend von unsern Eltern und so selbstsüchtig ihnen gegenüber, weil wir von ihnen die ganze Kraft fordern, mit der wir ausgestattet sein wollten, um den neuen Kampf mit einem neuen Dasein zu bestehen.
Wir kommen doch wohl zuerst im Zustande großer Wildheit auf die Erde, und bei jedem neuen Dasein bricht sich die Seele mehr Bahn, die selbst wie ein Embryo sich aus allerhand Dunkelheiten emporarbeiten muß und bei jedem neuen Dasein eine vollkommenere Gestalt annimmt.
Daß wir das frühere vergessen, ist gewiß sehr weise und gütig eingerichtet, denn sonst kämen wir vielleicht nie mehr in die Höhe und würden von denen erdrückt werden, die sich erinnerten, wie elend wir einst gewesen, oder wie schlecht oder wie niedrig gesinnt. Manchmal brechen noch alte überwundene Instinkte in uns hervor, über die wir vor uns selbst verwundert stille stehen und nicht begreifen, wie solch eine Rohheit uns noch heimsuchen kann, da wir von gebildeten Eltern zu sein scheinen.
Wer weiß ob die früh sterbenden Kinder nicht finden, daß sie ihr Elternpaar schlecht gewählt und unter ungenügenden und ungünstigen Bedingungen stehen, um das zu erreichen, was sie diesmal erreichen können und dürfen: und dann wollen sie lieber den Tod kosten, und von vorne beginnen, um höher zu kommen. Die Seele lebt so gewiß ihr eigenes, verborgenes Leben, als sie nicht von gestern ist. Sie geht Wege, die denen des Körpers fremd sind, mit denen der Beruf, den man äußerlich erfüllt, garnichts zu schaffen hat. Wer weiß, ob nicht der eine, der einst König war, eben die niedrigsten Dienste tut, und ob der Erzbischof nicht ein einfacher Landpfarrer geworden ist, und dieHerrin eine Magd, und der Hirte ein König? Der äußere Beruf ist gewiß sehr unabhängig von der Seele und ihrem Arbeiten in sich selbst.
Daß die Seele Reinheit erlangen oder bewahren möchte, ist ganz gewiß, denn die heißesten Tränen vergießt der Mensch da, wo er fühlt, daß er herabgestiegen ist und sich besudelt hat. Und er möchte vor seinen Mitmenschen so rein als möglich dastehen. Daher hassen die armen Dirnen so ihre Verführer. Darum ist manche Frau verzweifelt, wenn sie sieht, daß sie an den unrechten ihr Herz gehängt, und daß die Ehe mit ihm sie täglich erniedrigen muß. Darum möchte der Mann sich im Staube wälzen, der sieht, daß er hätte rein bleiben sollen, um groß und stark zu sein, und daß er Leib und Seele in den Schmutz geworfen hat.
Rein sein, das ist allen eine Sehnsucht und ein endloser, tiefer Schmerz, wenn es unerreicht oder verloren scheint. Da wiederholt sich die Geschichte vom Paradiese täglich, da weinen die Vertriebenen, denen die Erde dunkel geworden ist. Da arbeiten sie und sehen, daß sie die Sünde gebären, daß Haß und Eifersucht aus ihnen kommen, daß die ersten bösen Regungen der Menschenseele an ihren reinen Kindern sichvollziehen, weil sie selbst ihr Paradies verscherzt haben. Manchmal gewinnt das Kind das Paradies wieder in einem wahren Märtyrertum, das es von aller Erdensünde frei macht, oder davor bewahrt, und das Leiden der Erde wie eine Feuerflamme alles an ihm reinigt, was von den Eltern her niedrig und gering sein könnte.
Zum Reinigen sind die ungeheuren Leiden da, deren Zweck wir manchmal nicht verstehen wollen oder können, zumal, wenn sie unschuldige Kinder treffen. Aber vielleicht hatte das Kind als reife, selbstbewußte Seele das Märtyrertum gewählt, um rein zu bleiben oder zu werden. Was wissen wir davon? Warum denn immer glauben, alles sei Zufall, ungewollt, unbestimmt, ungeordnet? Warum denn nicht einmal das Gegenteil annehmen? Warum nicht denken, daß alles in höchster Ordnung sich vollzieht? Daß wir leiden wollen, dürfen, können, daß wir einem viel höheren Ziele zustreben, als wir es selber wissen, und daß wir gern bereit sind, durchs Feuer zu gehen, wenn wir dadurch Schlacken
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