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Gefluesterte Worte

Gefluesterte Worte

Titel: Gefluesterte Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Sylva
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Volk bedarf. Darum lassen sich auch keine Gesetze und Vorschriften machen, sondern es wäre allein Sache der einzelnen Menschen, sich hierin, wie in allen Stücken zu veredeln und zu vervollkommnen. Grade in der Ehe spielt der Körper unerhörte Streiche und macht das Edlerwerden so sehr viel schwieriger. Es gäbe gar keine Frauenfrage, wenn die Ehe anders gehandhabt worden wäre. Die Männer haben Mägde haben wollen, die Frauen Helden, und die Männer waren nicht zu Helden geschaffen, und die Frauen konnten den Druck nicht mehr ertragen, unter welchem die Männer sie zu halten suchten.
    Da kommen alle die traurigen Dinge der Erde: Eifersucht. Mißtrauen, Vergewaltigung, Selbstsucht und allerhand unbeschreibliche Unarten ins Spiel. Denn in der Ehe bilden die Menschen sich ein, sich vollkommen gehen lassenzu dürfen, und denken nicht, daß, sobald sie sich gehen lassen, alle ihre Fehler riesengroß werden und ihre Eigenschaften unbedeutend klein. Gerade in der Ehe sollte man sich niemals gehen lassen, sondern sich vollkommen in der Gewalt haben. Ein unzeitiges Gähnen kann ein ganzes Drama zur Folge haben. Denn es bekundet eine Gleichgültigkeit und Abspannung vielleicht in einem Augenblicke, der dem andern höchst wichtig erschien zu einer seelischen Mitteilung. Dann kommt hinzu, daß beide Eheleute anderwärts beschäftigt sind und sich müde wieder finden, sodaß die Müdigkeit allein schon genügt, um sie reizbarer und gleichgültiger zu machen, anstatt daß jede Begegnung und Vereinigung ein kleines Freudenfest sein sollte. Da kommt die Geduld sehr zu statten. Denn die Liebe ist selten so groß und so stark, wie sie in den Büchern steht, oder, wie die Menschen sich selbst einbilden möchten, daß sie es ist. Die Geduld reicht weiter, weil sie überlegt und gewollt ist. Das kleine Unwohlsein, das man sorgfältig vor den Fremden verborgen hatte, in der stillen Zweisamkeit des häuslichen Herdes bricht es los, wenn man mit ein klein wenig Selbstüberwindung nicht so gar sehr zuklagen brauchte, sondern dem andern seine Ruhestunde nicht verderben sollte, indem es sich ängstigen muß. Es gibt Beispiele von wahrer Himmelsgeduld, da wo einer der Eheleute nicht normal ist, und der andre das sein Lebelang ohne Murren und Klagen trägt Das Klagen einer über den andern ist schon ein Fehler, denn wenn andere darauf eingeben und in dasselbe Horn blasen, so wird es übel empfunden und sofort widersprochen.
    Man sollte nie über seine Ehe klagen, in keinem Falle und unter keinen Umständen. Man sollte sie tragen können, wenn man die rechte Selbstüberwindung und Geduld hätte. Es bleibt im besten Falle ein Verhältnis, das nur mit äußerster Zartheit gesund bleiben kann, und nur mit größter Aufopferung zu einem guten Ziele führt.
    Im Dienste der Menschheit! das sollte vor jedem Traualtar der erste Gedanke sein, statt zu denken, wie glücklich man beiderseitig werden kann. Das Glück oder Unglück liegt so selten in unserer Hand, da wir unser Schicksal meist nicht einmal ahnen können, weder unsern Körper noch unsere Seele kennen, geschweige denn die des anderen, und es wohl schwer istin den ersten vierundzwanzig Stunden zu entdecken, daß man sich geirrt hat. Diese Entdeckung ist nun auch zuweilen irrtümlich, und es wird besser mit der Zeit. Da müßte wieder beiderseitige Geduld eintreten, bis die Liebe groß genug gezogen ist, wie ein junger Tannenbaum, der im Schatten der Geduld wächst, bis er Sturm und Sonnenschein ertragen kann.
    Die Frauenfrage und ihre übertriebene Lösung hat vielleicht das Gute, daß die jungen Mädchen selbständiger in die Ehe treten, und dadurch dem Manne nicht so kindisch erscheinen, sondern sofort Gefährtinnen werden können, ohne die schwere Schule durchzumachen, die in der Ehe gemacht werden muß, wenn sie nicht vorher absolviert ist. Man darf immer noch denken: »Er, der Herrlichste von allen!« Vorausgesetzt, daß der Mann dasselbe denkt, und seine Frau auch als die Herrlichste und Verehrungswürdigste erkennt. Gegenseitige Hochachtung ist mehr wert als Liebe, gegenseitige Höflichkeit ist sehr notwendig, Grazie und Lieblichkeit, die durch alle Alter sich bewahren läßt, statt des widerwärtigen Sichgehenlassens, das unter keinen Umständen graziös und anziehend ist.Manche Ehe scheitert an der erdrückenden Sorgenlast, manche an der Langeweile, manche an irgend einem ganz unbedeutenden Fehler, der dem andern unerträglich erscheint, und von dem er sich einbildet, daß er ganz

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