Gefrorene Seelen
Zeitungen interessierten. »Morgen um zwei Uhr nachts«, wiederholte Delorme. »Können wir denn so kurzfristig eine Abhöreinheit für das Restaurant bekommen?«
Musgrave erhob sich vom Bett, und es war ein Schauspiel, als würde man das Wachstum einer Douglastanne im Zeitraffer ablaufen sehen. »Wo bleibt denn Ihr Glaube, Schwester Delorme? Noch während wir hier sprechen, bereiten unsere geistlichen Brüder bereits alles Nötige vor.«
40
E die Soames ließ die Uhr nicht aus den Augen, bis der Zeitpunkt der Mittagspause gekommen war. Dann sagte sie Quereshi, ihrem pakistanischen Chef, dass sie jetzt ihre Pause mache, und ging zu Pizza Patio am anderen Ende des Einkaufszentrums. Sie aß immer allein zu Mittag; Eric machte seine Mittagspause nie zur gleichen Zeit. Das Bedürfnis, mit ihm zusammen zu sein, war besonders jetzt sehr groß. Sie hielten den Jungen schon so lange gefangen, dass Edies Vorfreude nahe daran war, in Furcht umzuschlagen. Eric verschob die Party immer wieder, offenbar gefiel es ihm, den Zeitpunkt hinauszuzögern. Er genoss es, einen Gefangenen zu haben; das gab ihm einen neuen Lebenszweck. Doch Edie machte es unruhig und nervös, als hätte ihre Haut zu viel Spannung.
Am Nachbartisch saß ihre Ex-Freundin Margo mit dem Rücken zum Eingang und kicherte mit zwei anderen Kolleginnen von Pharma-City. Edie setzte sich nicht mehr mit Margo an einen Tisch; Margo war ihr nicht ernst genug. Vor einem Jahr, als sie Eric noch nicht kannte, hatte sie ihrem Tagebuch anvertraut:
Margo versteht es, sich zu amüsieren – was ich nie gelernt habe. Ich könnte mir vorstellen, mich in sie zu verlieben. Gestern Abend kam sie zu mir nach Hause und hat mir die Haare gelegt. Was haben wir uns amüsiert
. Aber dann war Eric in ihr Leben getreten, und vom ersten Augenblick an mochten sich Margo und Eric nicht. Eines Tages, noch bevor Margo begriffen hatte, wie viel Eric Edie bedeutete, hatte sie die achtlose Bemerkung gemacht, er sehe aus wie ein Frettchen. Seither hatte Edie, abgesehen von der unumgänglichen Verständigung bei der Arbeit, nicht mehr mit ihr gesprochen.
Edie bestellte eine Diätcola und zwei Stücke Pizza. Sie hatte ihr zweites Stück schon halb aufgegessen, da hörte sie ihren Namen am Nachbartisch. Margo hatte ihn mit kreischender Stimme erwähnt,aber Edie wurde nicht gerufen. Vielmehr wurde über Edie geredet. »Mein Gott«, sagte Margo gerade. »So ein Sauertopf. Und dieses Gesicht, zum Eierabschrecken. Und dabei schmiert sie sich doch mindestens ein Viertelpfund ›Obsession‹ drauf. Das Mädchen braucht dringend eine Runderneuerung.«
»Ja, dringend«, pflichtete Sally Royce bei. »Eine Runderneuerung an Körper und Seele.«
Die Stimmen ebbten für einen Augenblick zum Geflüster ab, dann brachen alle in Gelächter aus.
Edie schob den Rest der Pizza beiseite und ging. Diese Zicken sollten mal in die Zeitungen gucken und sich mit dem Windigo bekannt machen. Denen würde das Lachen vergehen, wenn sie wüssten, wozu sie, Edie, fähig war. Um Gnade würden sie winseln, wie diese Indianergöre. Ich hätte Billy LaBelle allein fertigmachen können, wenn uns der Spund nicht unter der Hand weggestorben wäre. Nur einmal war sie schwach geworden: Sie musste Todd Currys Kopf mit dem Kissenbezug verhüllen, ehe sie Eric helfen konnte, die Leiche wegzuschaffen.
Aber mit der Zeit wurde sie immer stärker. Keine vierundzwanzig Stunden war es her, dass sie eine Leiche zum Trout Lake gefahren hatte. Eric war phantastisch. So cool, so selbstsicher. Brachte den anderen um, als wäre der nichts. So wie man einem Vogel den Hals umdreht. Und dann haben wir ihn wie einen Sack Müll abgekippt. Wie Müll – und das war er ja auch. Einfach am Straßenrand. Aber wirklich genial war es – und das war allein Erics Idee –, den Lieferwagen vor der Chinook Tavern stehen zu lassen. »Jemand wird ihn klauen, bevor du Rumpelstilzchen sagen kannst«, hatte er prophezeit. Und einmal mehr hatte er Recht behalten.
Die Algonquin Mall hat einen großen Restaurantkomplex an einem Ende und einen nicht weniger großen Supermarkt am anderen. Dazwischen liegt das überdachte Einkaufszentrum als L-förmiger, hell erleuchteter Riegel. Mit ihm hat diese Stadt im hohen Norden eine Flaniermeile zu bieten, die keine Unbilden des Winters kennt. Schneestürme, Hagel, eisige Winde – all das verliertseinen Schrecken. Die Kauflustigen können den ganzen Nachmittag von Laden zu Laden bummeln, ohne sich halb tot zu frieren.
Edie fand
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