Gefrorene Seelen
glattem Haar, um das Edie sie beneidete, wollte etwas, um lockige Haare zu bekommen. Edie selbst hatte alles nur Erdenkliche ausprobiert – als Angestellte bei Pharma-City bekam sie zehn Prozent Rabatt –, aber keine der Salben, Cremes und steroidhaltigen Medikamente vermochte etwas auszurichten gegen den maskenhaften Glanz ihrer Gesichtshaut. »He, Edie«, hatte ihr einmal eine Schulkameradin zugerufen. »Hast du wieder den Kopf in den Ofen gesteckt? Das nächste Mal benutzt du aber nicht die Mikrowelle!«Die Erinnerung daran trug sie wie eine alte Pistolenkugel in der Brust herum.
Ein Junge kaufte ein Dutzend »London Extra sicher« bei ihr. Kondome wurden hinter dem Tresen verwahrt, und die Jungen kauften sie nie bei Margo; einer hässlichen Frau gegenüber fühlten sie sich weniger verlegen. Margo bediente die Kasse und war munter wie ein Spatz. Weil sie so ein Spatzenhirn hatte, machte ihr die blöde Arbeit auch noch Spaß. Seit Edie nicht mehr mit Margo redete, wusste Margo nicht mehr, was sie anfangen sollte, wenn wenig los war. Sie holte dann ihr
People
-Magazin hervor und schmökerte kaugummikauend durch die immer gleichen Geschichten.
Edie zog gerade ihren Parka an, als ein Mann im dunkelblauen Blazer sie ansprach: »Miss Soames, würden Sie bitte mitkommen?«
Der Mann gehörte zum Sicherheitsdienst. Seine Aufgabe bestand darin, Ladendiebe zu erwischen und sie vor der übrigen Kundschaft lautstark zur Rede zu stellen. Er hieß Struk. Edie folgte ihm in ein kleines Büro eine Treppe höher, wo eine dicke Frau in Uniform vor einem Überwachungsmonitor saß. Struk zeigte auf Edies Handtasche. »Miss Soames, würden Sie bitte Ihre Handtasche öffnen?«
»Wieso denn? Ich habe nichts gestohlen.«
»Pharma-City behält sich das Recht vor, Stichproben bei seinen Angestellten durchführen zu lassen. Sie haben eine Einverständniserklärung unterschrieben, als sie eingestellt wurden.«
Edie öffnete ihre Handtasche. Mit routinierten Fingern durchstöberte Struk Edies Papiertaschentücher, ihr Adressbuch, ihre Kaugummipackung. Er durchsuchte sogar ihre Brieftasche. Dachte er, sie würde darin Kondome verstecken?
»Würden Sie bitte Ihre Taschen leeren?«
»Warum?«
»Bitte leisten Sie meinen Anweisungen Folge. Sonst muss ich Fanny bitten, Sie abzutasten. Also, bringen wir es hinter uns.«
Zwei Minuten später war sie wieder draußen und brachte ihre Handtasche in Ordnung. Margo schäkerte mit Struk, als er sie in das Büro führte. Die Tür blieb offen, so dass Edie hörte, wie Struk die gleiche Prozedur wiederholte.
»Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an«, ermunterte ihn Margo. »Da ist bloß Make-up und Kaugummi drin.«
»Soso.« Einen Augenblick war es still. »Und ich wette, Sie werden sagen, dass Sie ein Rezept für die Pillen hier haben.«
»Pillen? Was für Pillen? Die habe ich nicht da hineingetan. Die gehören mir nicht, wirklich. Ich verstehe nicht, wie die in meine Handtasche gekommen sind.«
»Lügen Sie nicht. Das reicht als Kündigungsgrund. Hier sind bestimmt fünfzig Valium drin. Wie sind die in Ihre Handtasche gelangt?«
»Ich weiß es nicht, ich schwöre es! Ich habe nichts gestohlen, das müssen Sie mir glauben. Irgendjemand muss sie in meine Handtasche gesteckt haben!«
»Warum sollte jemand so etwas tun?«
Margo war in Tränen ausgebrochen, und Edie blieb nicht länger, um alles mit anzuhören. Sie lief die Treppe hinunter in die überdachte Einkaufsmeile. Plötzlich war sie so guter Laune, dass sie geradewegs in den nächsten Laden ging, um sich ein Paar neue Schuhe zu kaufen.
41
A ls Edie vom Einkaufen nach Hause kam, schlüpfte sie aus den Stiefeln, die vom Schneematsch ganz durchgeweicht waren, und ging in feuchten Strümpfen nach oben, um nach ihrer Großmutter zu schauen. Den Mund offen wie ein Garagentor schnarchte die alte Ziege geräuschvoll vor sich hin. Sie hatte nicht einmal wegen der Schüsse nachgefragt, sondern sich nur über das Geschrei aufgeregt. Dann war es Zeit, sich um den Gefangenen zu kümmern.
Die drei Riegel waren ordnungsgemäß vorgeschoben. Edie legte ein Ohr an die Tür und lauschte eine ganze Minute lang, ehe sie aufmachte. Eric hatte ihr eingeschärft, nur in seiner Gegenwart mit dem Gefangenen zu sprechen. Doch nun hatten sie ihn schon so lange im Haus, dass Edie nicht länger widerstehen konnte. Wozu hatte man denn einen Gefangenen, wenn man ihm nicht zeigen durfte, wer hier der Boss war?
Er saß, an Hand- und Fußgelenken gefesselt, aufrecht
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